Dienstag, 31. Mai 2022

Dann rennen wir von Paula McGrath


Unterschiedliche Orte, unterschiedliche Schicksale und doch haben diese drei Frauen etwas gemeinsam: Sie sind auf der Suche nach sich selbst, etwas Halt, Anerkennung oder auch nur Ruhe. Flucht ist am Ende keine Lösung, denn diese Frauen stellen sich ihren Dämonen.   

Paula McGrath erzählt in ihrem Roman in unaufdringlich direkter Art, wie sich Frauen ihrem Schicksal stellen. Es gibt drei unterschiedliche Handlungsstränge, deren Geschichten abwechselnd in Großbritannien, Irland und Amerika in unterschiedlichen Zeitebenen eingeblendet werden. Die Sprecherin des Hörbuchs, Franziska Hartmann, unterstreicht durch ihre Stimme gekonnt die direkte Sprache der Protagonistinnen. Hier gibt es keine Schnörkel und Schleifen, die Sprache ist sehr direkt und trifft die atmosphärische Spannung und die Verletzlichkeit der Frauen. 

Besonders das Schicksal der sechzehnjährigen Jasmin wird nachempfindbar und schonungslos beschrieben. Auf der Flucht vor ihrer alkoholkranken Mutter, einem fehlenden Zuhause und keiner erkennbaren Zukunft gerät sie in ein skrupelloses dunkles Milieu. Drogen, Prostitution und Misshandlung gehören zu ihrem Alltag, bis sie ihre Leidenschaft für das Boxen entdeckt und einen Menschen findet, der an sie glaubt. 

Als Waise sieht die junge Ali einer ungewissen Zukunft entgegen. Ihre verstorbene Mutter hat ihr wenig hinterlassen und plötzlich gibt es Großeltern, die mit ihrer Rolle überfordert, aber bemüht sind. Für Ali ist der Kontrast zwischen Wohnschiff und reichem Großelternhaus zu viel. Sie flieht mit einer Biker-Gang, ohne deren Ziel zu kennen. Die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sich.

Am unnahbarsten war die Story um eine Gynäkologin in Dublin, die in London einen Neuanfang wagen will, sich aber von ihrer pflegebedürftigen Mutter nicht trennen will. Die Gedankengänge und Gefühlsäußerungen waren für mich schwer zu greifen, auch wenn das Thema durchaus verständlich vermittelt wurde. 

Es dauert, bis man nach und nach das Gefühl für diese Protagonistinnen entwickelt. Im Hörbuch ist es sehr schwierig, den Wechsel in einen neuen Handlungsstrang zu erkennen. Auch wenn Jahreszahlen und Namen genannt werden, bleibt die Erzählstimme gleich und man muss sich sehr konzentrieren, um die Sprünge zu erkennen. 

Kurz vor dem Ende, wenn man als Hörende darüber nachdenkt, wohin die Reise führen soll, verändert sich die Handlung und führt einzelne Fäden zueinander. 

Für mich war dieser Roman dennoch nicht ganz schlüssig und zu distanziert. Als Hörende fühlte ich mich ausgeschlossen, war Beobachterin von unfassbaren Dingen, die so emotionslos transportiert wurden, dass der Schock des Moments umso größer war. Vielleicht gebe ich der Schriftform noch eine Chance.

Von mir gibt es 3 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 13.04.2022
Verlag:  GoyaLit
ISBN: 978-3-8337-4477-8
Spielzeit: 490:10 Minuten





Sonntag, 22. Mai 2022

Affenhitze von Volker Klüpfel und Michael Kobr


Statt mit einem kühlen Weißbier der Hitze zu trotzen, muss Kommissar Kluftingers Team in Pforzen für die Sicherheit des Ministerpräsidenten während einer Feier anlässlich eines archäologischen Sensationsfundes sorgen. Doch nicht Menschenaffe "Udo", sondern sein Entdecker Professor Brunner wird tot in der dörflichen Tongrube gefunden. Nicht nur die Hitze macht Kluftinger bei diesem Fall zu schaffen.    


Das Autorenteam KlüpfelKobr hat diesen 12. Teil der Kommissar Kluftinger Serie an einen archäologischen Fund im ostallgäuischen Pforzen angelehnt. Das "Danuvius Guggenmosi" eine echte Bezeichnung für einen Menschenaffen, der vor 11,62 Millionen Jahren lebte, ist, hätte ich nicht gedacht. Selbst bei so einem humorvollen Krimihörbuch kann man also auch etwas lernen. https://udo.pforzen.de

Besonders gelungen ist die sprachliche Umsetzung. Zusammen mit Martin Umbach liest das Autorenteam in sehr unterhaltsamer, mundartlich humorigen Art. Besonders Kluftingers Flüche sind einzigartig und erfreuen nicht nur seine Facebook-Follower im Roman. 

Für mich war es tatsächlich der erste Kluftinger Fall. Vielleicht liegt es daran, dass ich diesen schrägen Charakter zuerst etwas befremdlich fand. Als Kommissar sollte man eigentlich auf der Höhe der Zeit sein; Kluftinger scheint aber eher aus der Zeit gefallen zu sein. Ob es nun um Neue Medien oder um familiäre Aktivitäten geht, er wirkt immer ein wenig tollpatschig oder einfach nur situationsüberfordert. 
Es macht ihn aber auch liebenswert, denn obwohl er mit Facebook, Smartphone oder Drohnen einen ungleichen Kampf führt, hat er am Ende doch ein feines Gespür und findet Spuren, die jeder andere übersehen hätte. 

Gekonnt werden Hinweise gestreut, die viele mögliche Täter ins Spiel bringen und diverse Klischees bedienen. Für mich waren die verdächtigten Personen aber zu sehr in Schubladenkategorien abgelegt worden. Vielleicht auch gewollt, um Lesende darauf hinzuweisen, dass man nicht vorverurteilen soll. 

Ein sehr unterhaltsamer Regionalkrimi, der vor allem durch die Mischung aus wahren Gegebenheiten und fiktiven Passagen ein besonderes Hör-Erlebnis erschafft. 

Vor dem Hören sollte man sich folgenden Artikel anschauen. Dann macht es gleich doppelt Spaß.

Merkur Artikel


Von mir gibt es 3,5 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 28.04.2022
Verlag:  Hörbuch Hamburg
ISBN: 9783844929065
Hörlänge: 16 Stunden 36 Minuten





Garmischer Mordstage von Roland Krause


Eigentlich wollte Ben Wiesegger es nach 20 Jahren Abwesenheit in Garmisch langsam angehen. Doch wer davonläuft, darf nicht mit Vergessen rechnen. Und dann ist da noch der Tote auf der Viehweide. Tierärztin Schmerlinger glaubt nicht, dass ein Stier ihn auf dem Gewissen hat. Als Bens Familie in den Fall hineingezogen wird, ermittelt das ungleiche Duo auf eigene Faust.   


Roland Krause hat mit gewohnt locker sitzender Feder einen mundartlich wordmalerisch akrobatischen Krimi mit regionalen Details geschrieben. Kurze Kapitel und  knappe markige Sätze unterstreichen die launige Handlung. 

Für jeden Leser*innen-Typ findet sich ein Charakter, mit dem man sich anfreunden kann. Ein eifersüchtiger Dorfsheriff, der wilder als der vermeintliche Mordstier auf der Weide auftritt. Dessen liebestolle Frau, die zu Hochtouren aufläuft, als ihre Jugendliebe eintrifft. Der gescheiterte, abgerissene Journalist, der trotz mangelhaftem Selbstbewusstsein bei der energischen Tierärztin einen Stein im Brett hat. Gauner, Dealer und Immobilienhaie und natürlich Freunde, die mit einem durch dick und dünn gehen. 

Mein heimlicher Favorit ist allerdings  Bens alter und vermeintlich unbeholfener Vater. Obwohl er sein Zimmer nicht verlässt und meistens die Sterne betrachtet, ist er immer zur Stelle, wenn es darum geht, Einbrecher und Wandbeschmierer in die Flucht zu jagen. Seine unaufgefordert erteilten Weisheiten sind prägnant und dulden keinen Widerspruch, denn schließlich behält er am Ende ja doch immer recht.

Die Handlung nimmt langsam Fahrt auf, man kann sich orientieren, einen Eindruck von den Örtlichkeiten gewinnen und die Eigenarten der einzelnen Protagonisten auf sich wirken lassen. Der ausgeprägt umschreibende Sprachstil, der möglichst viel Humor vermitteln sollte, gefiel mir anfangs sehr gut, strengte mich am Ende aber mehr an. Die eingestreuten Informationen über Bräuche und regionale Gepflogenheiten haben mir besser gefallen. Besonders die Umsetzung einer besonderen Verkleidung in einer Schlüsselszene passt sehr gut in einen Regionalkrimi.

Der Spannungsbogen wird am Ende strapaziert, als auf allen Ebenen dramatische Ereignisse einsetzen. Ein finaler Moment hätte völlig ausgereicht, um Spannung zu erzeugen. Für mich war es ein sehr kurzweiliger Krimi, der sich gut im Urlaub auf einer Bergwiese lesen lässt.


Von mir gibt es 3 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 14.04.2022
Verlag:  emons:Verlag
ISBN: 9783740814502
Flexibler Einband
Seiten: 320





Freitag, 13. Mai 2022

18/4 - Der Hauptmann und der Mörder von Zhou Haohui


Nach 18 Jahren nimmt ein brutaler Serienkiller in der chinesischen Stadt Chengdu seinen Rachefeldzug gegen ungeahndete Verbrecher wieder auf. Die Sondereinsatzgruppe 18/4 muss fassungslos verfolgen, wie ein Mord nach dem anderen geschieht und sie dem Täter keinen Schritt näher kommen. Selbst Hauptmann Pei Tao, der schon die Anfänge des selbst ernannten Eumenides erlebt hat, tappt im Dunklen.   


Zhou Haohui hat mit dem Auftakt der Trilogie kein neues Thema aufgegriffen. Gewitzte Täter, die die Polizei an der Nase herumführen, hat es schon häufiger gegeben. Doch der chinesische Touch ist neu. Die Charaktere für westliche Lesende ungewohnt und deshalb interessant. Glücklicherweise gibt es ein Personenverzeichnis der Einsatzgruppe. Denn Namen wie Han Hao, Yin Jian oder Xiong Yuan bleiben erst einmal nicht im Gedächtnis. Der Autor belässt es auch bei den Namen und beschreibt seine Protagonisten nur oberflächlich. 

Der Schreibstil ist flüssig und man findet sich schnell in die Handlung. Der anfängliche leichte Spannungsbogen steigert sich schnell in ein rasantes Hase- und Igel-Rennen. Der Killer legt vor, indem er den Opfern durch eine Todesanzeige mitteilt, warum und wann sie sterben müssen und obwohl die Polizei alle erdenklichen Schutzmaßnahmen trifft, gelingt Eumenides der Mord. Nichts scheint ihn aufhalten zu können. Erste Vermutungen, es könnte jemand aus den eigenen Reihen sein, streut Argwohn und Misstrauen im Ermittlungsteam. 

Vor allem Hauptmann Pei Tao, der nur als beteiligte Person im Fall vor 18 Jahren hinzugezogen wurde, wird kritisch betrachtet. Er kann sich am besten in den Täter hineinversetzen. Zu gut? Der Autor spielt geschickt mit Vorverurteilung und menschlichem Verhalten. 

Immer mehr verstricken sich einzelne Ermittelnde in eigene Vergehen. Der Kreislauf von Abhängigkeiten, Korruption, Verbrechen und eingeforderter Schuldversprechen zeigt, wie schnell aus einem vermeintlich harmlosen Fehlverhalten ein Verbrechen werden kann. 

Die Schnelligkeit der aufeinanderfolgenden Fälle hat mich kaum zu Atem kommen lassen. Kaum hat man sich von einem schrecklichen Mord erholt, taucht die nächste Todesanzeige auf, die auch sichtbar für den Lesenden auf der Buchseite prangt. An manchen Stellen sind mir die Beschreibungen der Opfer und deren Misshandlungen zu sehr ins Detail gegangen. Die Handlung hat diese Bilder nicht benötigt, um zu fesseln.

Bis auf einige Sätze, die etwas verschroben zu lesen sind und einem schwerwiegenden Namensfehler, der Polizist und Polizistenmörder vertauscht, ist die Übersetzung gelungen. 
Das Ende hat mich überrascht und wurde gut gelöst; ein Versprechen auf eine spannende Fortsetzung.  Ich wäre mit einem finalen Ende an dieser Stelle aber auch einverstanden. 


Von mir gibt es 4 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 10.01.2022
Verlag:  Heyne
ISBN: 978-3-453-43983-2
Flexibler Einband
Seiten: 400