Montag, 27. Februar 2023

Der Taucher von Mathijs Deen


Ein verschollenes Wrack aus den 50er-Jahren wird zufällig von einem niederländischen Bergungsschiff entdeckt. Die Ladung, Kupfer im Wert von einer Million Euro, würde die Mannschaft gern bergen. Wäre da nicht der tote Taucher, der in Handschellen am Wrack gekettet erstickt ist. Die Bundespolizei setzt Kommissar Liewe Cupido auf den Fall an, der durch seine niederländischen Wurzeln erste Ermittlungen in Terschelling bei einem Tauchclub durchführt. Spuren führen auch nach Föhr und Wilhelmshaven und decken nicht nur Hinweise zu diesem Fall auf.   


Mathijs Deen beweist im zweiten Fall des Ermittlers Liewe Cupido - der Holländer genannt -, dass der erste Band kein One-Crimi-Wonder gewesen ist. Gleich auf den ersten Seiten fühlt man sich an die Küste versetzt, blickt den Seeleute der "Freyja" über die Schulter und sieht einen Taucher, der mit Handschellen an ein Wrack tief auf dem Meeresgrund angekettet wurde. Die düstere See mit ihren Geheimnissen lässt einem einen Schauer über den Rücken laufen. Die Stimmung ist ruhig und die Spannung wird langsam, aber stetig aufgebaut. Vorkenntnisse aus dem ersten Teil sind nicht erforderlich. Einige Personen und Hund Vos finden ihren Weg auch in den zweiten Teil, werden aber ausreichend beschrieben. 

Passend zum Charakter des Ermittlers, der eine unglaubliche Ruhe ausstrahlt, werden besonders die kleinen Details hervorgehoben. Hier ermittelt kein Held und kein Selbstdarsteller, sondern Liewe Cupido, der am liebsten allein, eigenwillig und in seinem Tempo die Dinge angeht. Ich mag diese Figur sehr gern, weil es zeigt, dass man sich nicht verbiegen muss und bei sich bleiben kann, um ans Ziel zu kommen. Seine sehr ruhige, nicht gerade kommunikative Art wirkt auf viele beunruhigend und ungewöhnlich. Darin liegt seine Stärke: Er kann warten. 

Jeder Protagonist wirkt realistisch, glaubwürdig und passend zur Szene. Der Hafenmeister, der sich mehr für die Boote als für die Menschen interessiert. Der Insel-Polizist Snausbjard, der liebevoll und ein wenig schusselig seinen Inseljob versieht. Die Wracktaucher, die ihre Geheimnisse für sich behalten möchten und Jugendliche, die zwischen Schuld und Trotz schwanken. 

Interessant sind die Beschreibungen zum Thema Wracktauchen und den Schätzen, die heute noch das Meer verbirgt. Anhand der detaillierten und übersichtlichen Karte im Buchumschlag kann man Cupido bei seinen Ermittlungsfahrten begleiten. Ob mit dem Hubschrauber, dem Marineboot oder der Fähre, der Ermittler muss einige Kilometer zurücklegen, um erste Hinweise zu finden.

Das Motiv für den Mord ist nicht leicht zu finden und erst nach und nach stellt sich ein Familiendrama in Wilhelmshaven als Puzzleteil heraus. Die Rückblenden, die zu Cupidos Familie führen, sind sehr fein und nebenbei erzählt. Sie zeigen aber, warum Cupido ein Einzelgänger mit schlechtem Schlaf und einer tragischen Vergangenheit ist. Ein wenig Melancholie legt sich über die Seiten, wenn Liewe etwas von sich preisgibt. 

"Und als der Schlaf ihn endlich überwältigt, kommt er nicht als Erlösung, sondern als Schatten, der am Fußende heraufwölkt, sich wie ein Schleier über das Bett ausbreitet und ihm die Luft nimmt."

Am Ende wird es dann doch einmal brenzlig für den Ermittler, der all seine Ruhe über Bord wirft und die Tat im Alleingang klären will. Wenn es hektisch wird, gewinnt sein Bauchgefühl. 

Ich hoffe sehr, dass Liewe Cupido weiter ermitteln darf und es weitere Ermittlungen zwischen deutsch und niederländischer Küste geben wird. Für alle Krimiliebhaber, die das Meer, die Landschaften und die Menschen dort mögen. 

Von mir gibt es 5 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 14.02.2023
Verlag:  mare Verlag
ISBN: 978-3-86648-701-7
Fester Umschlag
Seiten: 320





Mittwoch, 22. Februar 2023

Mein Leben in deinem von Jojo Moyes


Das Leben sollte man nicht zur Selbstverständlichkeit werden lassen. Das merkt Nisha in dem Moment, als ihre Sporttasche vertauscht wird und sie nur mit einem Bademantel bekleidet auf der Straße steht. Sam dagegen traut ihren Augen nicht, als sie eine Chanel-Jacke und sündhaft teure High Heels aus der Tasche zieht. Für beide Frauen beginnt in diesem Moment ein neuer Lebensabschnitt - sie wissen es nur noch nicht.

Jojo Moyes versteht es, alltägliche Situationen mit besonderen Effekten zu versehen. Der Erzählstil ist locker und die kurzen Episoden lassen die Story schnell dahingleiten. Gleich die ersten Sätze lassen erahnen, dass die Sporttaschenverwechselung nur der Anfang einer ungewöhnlichen Geschichte sein wird. Luise Helm gibt der Handlung mit ihrer Stimme einen besonderen Touch und versteht jedem Charakter eine eigene Stimme zu geben. 

Der Zufall will es, dass die im Luxus lebende Amerikanerin Nisha am gleichen Tag zum ersten Mal in London das Fitnessstudio besucht, wie Sam, die eigentlich nur kurz vor einem Geschäftsmeeting etwas die Seele baumeln lassen will. Der Taschentausch als Thema ist nicht neu, aber der rasante Wechsel, der mit den Frauen geschieht, schon. 

Von jetzt auf gleich läuft bei Nisha gar nichts mehr wie gewohnt: Der Chauffeur holt sie nicht wie vereinbart ab, im Hotel lässt ihr Ehemann sie nicht mehr in die Hotelsuite und selbst die Hotelboutique verweigert ihr den Einkauf. Alles erinnert ein wenig an Pretty Woman nur halt umgekehrt. 

Parallel zu den Ereignissen um Nisha wird Sams Erlebnis in High Heels beschrieben. Da sie nur mit FlipFlops aus dem Training gekommen ist, muss sie für ihr Meeting notgedrungen die schwindelerregend hohen fremden Schuhe tragen. Ihre männlichen Kunden sind begeistert und Sam kann unerwartet neue Aufträge für ihre Firma verzeichnen. 

Bis zu dieser Stelle hatte ich Bedenken, ob es noch eine Wendung nehmen würde, die mehr als seichte Unterhaltung zu bieten hat. Die Autorin zieht sämtliche Klischee-Register, um die beiden unterschiedlichen Frauen zu beschreiben. Die eine attraktiv, gepflegt und reich. Die andere abgekämpft, vollschlank und unscheinbar.

Doch nach und nach verändern sich Nisha und Sam. Jede für sich erkennt, dass das Leben mehr zu bieten hat, als sie bisher darin gesehen haben. Besonders die liebevoll beschriebenen Weggefährten der beiden Frauen lassen den Roman dann doch zu einem interessanten Hörgenuss werden. Allerdings werden auch hier einige Vorurteile bedient. Die vom Leben gebeutelten, um ihre Existenz kämpfenden Menschen sind die emotionaleren, hilfsbereiteren. Wer wenig hat, gibt am meisten.    

Es ist ein Wohlfühlroman, der durch einen launigen Plot am Ende noch etwas Fahrt aufnimmt. Wer leichte Unterhaltung sucht, wird sie hier finden. 


Von mir gibt es 3 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 02.02.2023
Verlag:  Argon
ISBN: 9783839820216
Hörbuch, gekürzt
Dauer: 12 Stunden, 29 Minuten





Dienstag, 21. Februar 2023

Der Inselmann: Roman von Dirk Gieselmann


In einer Nacht- und Nebelaktion verlässt eine kleine Familie mit wenig Habseligkeiten das Festland um auf einer See-Insel zu leben. Für den zehnjährigen Hans ein unverrückbarer Lebensinhalt, der ihm Halt und Hoffnung gibt. Viel mehr wird er nicht haben und doch hat er alles.   

Dirk Gieselmann erzählt in seinem Debüt, wie der zehnjährige Hans zusammen mit seinen Eltern auf eine Insel zieht, die nur von ihnen bewohnt wird. Lediglich eine Schafherde, die den Lebensunterhalt sichert und ein Hütehund leisten ihnen Gesellschaft. Der Schreibstil ist eindringlich und schonungslos direkt. Eine düstere Melancholie legt sich über die Seiten und bleibt als Grundstimmung der Handlung erhalten. Der Autor versteht es auch die kleinsten Details hervorzuheben und ihnen eine Stimme zu geben.

Hans liebt die Einsamkeit und die Nähe zu seinen Eltern. Auf der Insel vergisst er die Zeit und verschmilzt mit der Natur und seinen Bewohnern. Hier fühlt er sich wie ein König in seinem Reich.

"Er dachte an das, was er sich so sehnlich gewünscht hatte. Jetzt war er noch immer der Ärmste, aber der Reichste zugleich."

Doch die kurze Idylle trügt, denn das mehrfache Fernbleiben des Jungen in der Schule bleibt nicht unentdeckt. Sachlich und voller Kälte wird die Bootsfahrt ans Festland beschrieben. Hans wird in die Burg, eine Anstalt für schwer erziehbare Kinder, gebracht. Sieben Jahre voller Qual und Leid muss er überstehen. Fast wie im Märchen stellt man sich die Frage: Was ist die Moral aus der Geschichte?

Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen, ohne daran zu brechen. Was ist mit den Eltern, die ihren Sohn verloren haben. Was ist mit Hans, der seiner Heimat beraubt wurde? Poetisch, fast lyrisch wird die Stimmung immer wieder eingefangen: 

"Hans, der Verwundete. Hans, der Unverwundbare. Hans, der unter Hieben lächelt."

Man versinkt in diesem Text. 176 Seiten, die mich festgehalten haben und immer wieder innehalten ließen. Hans Einsamkeit ist laut und eindringlich. Immer wieder der Blick auf den See und die Insel, die sich nicht ändern, was auch um sie herum geschieht.  

 "Der See wechselte sein Wasser aus, die Flüsse halfen ihm dabei. Sein Spiegel stieg, sein Spiegel sank und stieg dann wieder. Er fror zu und taute auf, viele, viele Male."

Dies ist kein Roman für eilige Leser. Die Betrachtung eines ganzen Lebens findet auf diesen wenigen Seiten Raum. Es geht ans Herz und darüber hinaus. Ein Menschenleben fern jeden Konsums, Geltungsbewusstseins und Konkurrenzdenkens. Gebt den Außenseitern in dieser Welt einen Platz zum Leben.

Von mir gibt es 3,7 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 09.02.2023
Verlag:  Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 9783462000252
Fester Umschlag
Seiten: 176



Sonntag, 12. Februar 2023

Das glückliche Geheimnis von Arno Geiger


Wie ist man Schriftsteller und nicht mehr Schreiber? Wie findet man seinen Weg und schlägt die richtige Richtung ein? Arno Geiger gewährt autobiografische Einblicke auf seinen Werdegang mit all seinen kleinen und doch einschneidenden Erlebnissen.


Arno Geigers Schreibstil fesselt selbst an Stellen, die nur Alltägliches beschreiben. Er legt mit einer Leichtigkeit den Finger in Wunden, die man gar nicht gesehen hat. Jahrzehntelang schaut man als Lesende dem Autor über die Schulter und nimmt selbst die leisesten Schwankungen wahr. Sein Leben ist nicht aufregend oder dramatisch. Vielmehr wirkt es teilweise langatmig und unspektakulär. 

Seine Unruhe kompensiert Geiger, indem er lange Streifzüge durch die Straßen Wiens unternimmt. Sein Blick wandert in Altpapiertonnen und abgestellte Kartons voller Briefe, Bücher, Postkarten und Aufzeichnungen. Besonders gut erhaltene Fundstücke verkauft er auf dem Flohmarkt und hält sich so über Wasser. Er rettet ab und an alte Schätze vor der Zerstörung und lässt das Herz eines Antiquars  höher schlagen. 

Er liest Briefwechsel unbekannter Personen, blättert sich durch Tagebücher oder banale Aufzeichnungen und immer wirken diese Texte wie aus der Zeit gefallen, dauerhaft lebendig.

"Der Mensch ist nicht frei, wenn er betrachtet, das ist mir klar. Aber mit Sicherheit freier, wenn er jemand Unbekannten betrachtet. Zu den Menschen deren Lebenszeugnisse ich lese, stehe ich in keiner persönlichen Beziehung. Deshalb gehe ich an die Lektüre so unvoreingenommen heran,...."

Sehr interessant sind die Passagen, die zeigen, wie häufig Geigers Texte von Verlagen nicht erkannt oder verkannt werden. Nicht immer gelingt es nach einem Erfolg weitere Romane zu veröffentlichen. Ein vermeintlicher Selbstläufer wird einfach nicht veröffentlicht und eher unerwartet leichte Texte finden schnell Abnehmer.  

Viel Raum wird den Affären und Beziehungen des Autors gegeben, die eher zermürbend, langsam ohne Botschaft die anderen Zeilen begleiten. Viele Jahre scheint Geiger sich zu fragen, ob und wie eine Beziehung zu führen ist. In diesen Beschreibungen habe ich keine Botschaft gefunden, die den Sinn des Geschriebenen vermittelt hätte. 

Selbst als erfolgreicher Schriftsteller gibt er seine Altpapier-Suche nicht gänzlich auf, wird nur wählerischer und zieht seine Erkenntnis:
 "Auch im Abfall war der Umbruch im Zeitungswesen wahrnehmbar. Die Druckerschwärze wurde weniger. Die Pizzakartons wurden mehr. Handschriftlich Geschriebenes verschwand fast zur Gänze, ich wohnte dem allmählichen Untergang einer Kultur bei."

Mich haben diese Abschnitte sehr nachdenklich gemacht. Was passiert mit uns, wenn Dinge nur noch digital festgehalten werden. Hat eine Kurznachricht den gleichen Wert wie ein liebevoll geschriebener Zettel, den man verknittert und befleckt im Portemonnaie aufbewahrt?

Auch wenn mich dieser Roman durch viele Längen und für mich nicht greifbare Abschnitte nicht übermäßig begeistern konnte, habe ich die Kraft der Worte geschätzt. 

Von mir gibt es 3,5 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 10.01.2023
Verlag:  Verlag
ISBN: 9783446276178
Fester Umschlag
Seiten: 240





Freitag, 3. Februar 2023

Als die Welt zerbrach von John Boyne


Die liebenswerte 90-jährige Gretel Fernsby verbringt ihren Lebensabend in einem Londoner Villenviertel. Ihr ruhiges Leben wird durch den Einzug einer kleinen Familie in die Wohnung unter ihr aufgerüttelt.  Sie ahnt nicht, dass der neunjährige Henry sie an ein enges Familienmitglied von ihr erinnert. Um Henry zu retten, muss sich Gretel entscheiden, ob sie sich weiter verstecken will oder sich ihren vergangenen Dämonen stellen muss.  


John Boyne versteht es, die Leserschaft von Anfang an in seinen Bann zu ziehen. Auch wenn man den ersten Teil "Der Junge im gestreiften Pyjama" nicht kennt, wird man von dieser Geschichte gefesselt. Mir hat der warme Erzählstil und die spürbare Nähe zu den Protagonisten sehr gefallen. Die Sprecherin Elisabeth Günther verleiht dieser emotionalen Handlung zusätzlich noch eine besondere Note. Ich konnte mich nur schwer von der Erzählung trennen. Die knapp 11 Stunden Hörzeit vergingen wie im Flug. 

Der Autor lässt anfangs im Jahr 2022 die 90-jährige Gretel als Ich-Erzählerin zu Wort kommen. Sie berichtet von ihrem gemütlichen Leben in ihrer großzügigen Londoner Stadtwohnung, plaudert über ihr Verhältnis zu ihrem Sohn, der wieder einmal heiraten möchten. Sie verbringt ihre Tage ruhig und mit wenig Abwechselung. Man kann sich sehr gut diese nette alte Dame vorstellen. 

Der Sprung in das Jahr 1946 zeigt eine andere Gretel. Zusammen mit ihrer Mutter ist das deutsche Mädchen von Polen nach Paris geflohen. Beide bemühen sich, ihre Herkunft zu verheimlichen. Statt - wie gewohnt - in sehr guten Verhältnissen zu leben, schlagen sie sich dank ihrer Ersparnisse mehr schlecht als recht durch. Die junge, quirlig und neugierige Gretel ist sehr sympathisch und man nimmt Anteil an ihrem Leben als Flüchtling. 

Erst nach und nach werden immer mehr Details aus Gretels Leben aufgedeckt. Es gibt viele dunkle, grausame Schatten, die sie ihr Leben lang begleitet und bedrückt haben. Als Hörerin war ich oft gefühlsmäßig hin- und hergerissen. Die Deutsche Geschichte ist voller Gräueltaten und niemand sollte davon kommen, der Schuld auf sich geladen hat. Doch ganz so einfach ist die Schuldzuweisung rückblickend nicht. Nicht nur Gretel ringt um eine Entscheidung, sondern auch ich konnte mich selbst nach langem Nachdenken nicht so einfach festlegen, wie Gretel handeln sollte. 

Es geht um Schuld, Verbrechen und dem Selbsterhaltungstrieb, der in jedem Menschen steckt. 

Ein Hörerlebnis, welches mich noch lange Zeit beschäftigt hat. 


Großartig, wenn SchriftstellerInnen es verstehen, geschichtliche Elemente gekonnt in Romanhandlungen zu verweben und ihren Teil zum Nichtvergessen beitragen. Ein wunderbares, sehr empfehlenswertes Hörbuch. 


Von mir gibt es 5* von 5 Punkten

Hörbuchinformationen
Erschienen: 27.10.2022
Verlag:  OSTERWOLDaudio
ISBN: 978-3-86952-572-3
2 CDs
Laufzeit: 714 Minuten