Sonntag, 5. Juni 2022

Die neue Wildnis von Diane Cook


Wohin, wenn die Stadt das eigene Kind krank macht. In der nahen Zukunft scheint Amerika nicht mehr lebenswert zu sein. Eine Forschungsstudie scheint für zwanzig ausgewählte Personen die Rettung zu sein. Geschützt und von allem abgeschirmt, soll die Gruppe allein auf sich gestellt in der Wildnis eines Nationalparks leben. 

Diane Cook zeichnet ein düsteres Zukunftsbild, das sehr glaubhaft und durch und durch spürbar beschrieben wird. Smog, Überbevölkerung und ungesunde Lebensmittel bedrohen die Menschheit. Es scheint keinen Ausweg mehr zu geben, die letzten Ressourcen wurden ausgeschöpft und die wenigen Quadratmeter Natur einzig in einem Nationalpark gerettet. 

Kinder sind in dieser Welt nicht mehr willkommen und wenn sie geboren werden, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie überleben, gering. Die fünfjährige Agnes kämpft täglich ums Überleben, bis ihre Eltern sich dazu entschließen, an einer einzigarten Studie teilzunehmen. Sie verlassen die Stadt und leben zukünftig ohne technische Unterstützung in der Wildnis. Zusammen mit einer kleinen Gruppe Freiwilliger müssen sie lernen, in der Natur als Nomaden zu überleben. Außer einem Handbuch mit Regeln und der Überwachung durch Ranger sind sie auf sich gestellt. 

Beim Lesen ist mir die ein oder andere Gänsehaut über den Körper gelaufen. Könnte ich das? Alles aufgeben und Tiere töten, ohne Wärme im Winter überleben, Krankheiten ohne Medikamente überstehen. Wer sich nicht anpasst oder einen Fehler begeht, hat keine Chance zu überleben. Der Schreibstil der Autorin ist fesselnd trotz oder vor allem wegen der Neutralität der Worte. 
Zeit zum Trauern dürfen sich die Protagonisten nicht nehmen. Persönliche Belange stehen hinten an, denn als Erstes muss das Überleben der Gruppe gesichert werden.

Besonders interessant ist es, Agnes aufwachsen zu sehen. Vom kranken Stadtkind zur starken Wildnis-Frau, die ihre eigenen Werte im Leben setzt. Die Erinnerung an die Zivilisation verblasst immer mehr, dafür kann sie wie kein anderes Gruppenmitglied das Verhalten der Tiere deuten. Sie beobachtet die Natur, sieht wann Gefahr droht und kann Wege erkennen, die sonst niemand sieht. Diese Sicht wünsche ich mir, damit uns dieses Zukunftsszenario nicht ereilt. 

Der erste Teil des Romans kann durch die detaillierten Naturbeschreibungen und den Kampf der Menschen brillieren. Im zweiten Teil ist besonders die Protagonistin Bea schwierig einzuordnen. Ihr Verhalten konnte ich nicht nachvollziehen und teilweise wurde für mich auch einiges nicht sauber aufgelöst. Die Befürchtung, dass über die Jahre die Außenwelt immer mehr unter der Umweltverschmutzung zu leiden hat, bewahrheitet sich. Die daraus resultierenden Folgen für den Nationalpark scheinen unabwendbar. 
So langsam und erlebbar der erste Handlungsstrang beschrieben wurde, so schnell wird das Ende in kurzen Szenen offen gelassen. Fassungslos ob der Uneinsichtigkeit der Regierung wird eine Entscheidung getroffen, die nicht nur die Naturstudie ad adsurdum führen. 

Mich hat dieser Roman sehr nachdenklich zurückgelassen. Die ferne Zukunft steht schon direkt vor der Tür und ich möchte mich nicht entscheiden müssen, ob die einzige Rettung in einem zum Scheitern verurteilten Naturversuch liegt. 


Von mir gibt es 4 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 09.05.2022
Verlag:  Heyne
ISBN: 9783453321588
Flexibler Einband
Seiten: 544



Donnerstag, 2. Juni 2022

Morgen kann kommen von Ildikó von Kürthy und Peter Pichler


"Ich brauche eine Auszeit". Mit diesem Satz wird Ruth von ihrem Mann verlassen. Damit hätte sie noch klarkommen können, nicht aber mit dem Foto, das sie kurze Zeit später zufällig an einem Filmautomaten findet. Unterstützung erhofft sie sich von ihrer Schwester, die aber eigentlich seit Jahren nicht mehr mit ihr spricht. Sie fährt trotzdem spontan nach Hamburg und ahnt nicht, welche Steine dadurch ins Rollen geraten.  


Ildikó von Kürthy steht für Frauenthemen und Power, gute Unterhaltung und leicht umschriebene, aber wichtige Themen, die Frauen in allen Lebensabschnitten interessieren. Auch in diesem Roman ist es nicht anders. Was, wenn eine Ehe nicht mehr rund läuft und man es gar nicht mitbekommt. Wenn einem das Leben davongelaufen ist und man zu spät merkt, was man alles verpasst hat. Für Ruth scheint ihr Geburtstag und der gleichzeitige Hochzeitstag ein Wendepunkt im Leben zu werden. 

Die Angst, sich gar nicht mehr selbst zu kennen, sondern nur noch zu funktionieren, ist deutlich spürbar. Ruths Verzweiflung ist glaubhaft und ob man es nun selbst oder bei einer guten Freundin erlebt hat, diese Situation wird sicherlich einigen Lesenden bekannt vorkommen. Der Einstieg ins Buch dadurch gelungen und nachvollziehbar. Dann überholt sich die Handlung aber fast selbst. 

Es passiert viel - sehr viel - in diesem Roman. Die Akteure steuern von einer Notsituation in die nächste. Erleben unglaubliche Dinge in sehr kurzer Zeit und genau deswegen habe ich mich beim Lesen nicht mehr abgeholt gefühlt. Diese Protagonisten waren alle überzuckert und agierten fern der Realität. Teilweise hat mich die Handlung an eine Comedy erinnert. 

Der ehepausierende Ehemann ist im gleichen Wellnesstempel abgestiegen wie der Bekannte von Ruths Schwester. Das Drama ist vorprogrammiert. Gegenpol ist die Hamburger Villa, in der die Harmonie zwischen den unterschiedlichsten Bewohnern kaum zu überbieten ist. Selbst Ruth, die ja eigentlich ein ungebetener Gast und langjährig ignorierte Schwester ist, wird herzlich aufgenommen. Die Verwirrung ist perfekt, als Fatma auftaucht und von ihrem Geliebten schwärmt. 

Viele Themen, die leider schon so oft in Büchern und Filmen herhalten mussten, werden hier bemüht. Der dicke komische Kauz, der abnehmen will, aber nur, wenn er weiter so viel essen kann, wie er will. Die eigenwillige, männerlose Powerfrau, die ganz tief im Innern doch geliebt werden möchte, die bevormundete Ehefrau, die sich nun endlich befreien muss, und die blauäugige Geliebte, die zu spät merkt, dass sie nur ein Spielzeug ist. 

Die Story ist kurzweilig und für eine Lektüre am Strand geht sie durch. Aber den tollen Erzählstil wie in "Mondscheintarif" findet man hier nicht. Eine Lieblingsstelle am Ende habe ich aber doch gefunden. Eine leise Abschiedsszene von einem guten Freund, der seine letzte Reise antritt. Nur konnte diese Szene den Rest des Romans nicht retten. 

Ungewöhnlich sind kleine bunte Skizzen von Peter Pichler, die die Handlung unterstreichen. Für mich in einem Roman neu und auflockernd, aber nicht unbedingt notwendig.
Wer eine leichte Urlaubslektüre sucht, wird sie hier finden.

Von mir gibt es 3 von 5 Punkten


Buchinformationen
Erschienen: 12.04.2022
Verlag:  ROWOHLT Wunderlich
ISBN: 9783805200936
Fester Umschlag
Seiten: 368