Dienstag, 31. Januar 2023

Der Fußgänger von Wigald Boning


Ungewöhnlich und unterhaltsam widmet sich Wigald Boning in seiner unnachahmlichen Art der Fortbewegung. Der Unterschied zwischen Spaziergängern und Wanderern wird genauso beleuchtet, wie die wichtigsten Wege, die man gegangen sein sollte.  


Wigald Boning philosophiert in diesem Hörbuch über die Fortbewegung zu Fuß in unterschiedlichsten Situationen und Formen. Ich hatte hohe Erwartungen, weil ich den leicht schrägen Humor des Autors sehr mag. Es macht Spaß sich auf die Sicht des Autors einzulassen, die besonders durch seine Sprache einen besonderen Kick erhält. 

Die Geschichten rund um seine kuriosen Wanderungen sind lustig und kurzweilig beschrieben. Wandern in Holzschuhen oder Pumps traut sich sicher nur Wigald Boning. Teilweise trägt er einen Zylinder oder auch mal gar nichts am Körper. Dies sind die Momente, bei denen ich schmunzeln musste und viele Bilder im Kopf entstanden. 

Anders ging es mir bei langatmigen Aufzählungen, die für mich nur vergeudete Hörminuten waren. Der Abschnitt von Rötz nach Quetsch war eine Minute lustig. Doch es kamen immer mehr ungewöhnliche Ortsnamen und deren Ziele, wie z.B. von Celle nach Offen, die keinerlei Informationen enthielten, sondern nur durch deren Beziehung erwähnt wurden. Seine Wanderungen auf die höchsten "Berge" der Deutschen Bundesländer waren nur teilweise unterhaltend. Erhoffte Wandertipps erhält man an dieser Stelle leider keine, lediglich die Erwähnung von unspektakulären Wegen raten zum Verzicht auf eine Wanderung. 

Bei diesem Hörbuch fehlen bildliche Impressionen, die das Gehörte begleiten und das Geschehen verdeutlichen. Ein kleines Begleitheft wäre ideal gewesen. Es gibt halt Bücher, die als Hörbuch nicht funktionieren. "Der Fußgänger" zählt für mich dazu.

Wigald Bonings private Gedanken und Erlebnisse waren für mich zu oberflächlich. Gerade bei den Wanderungen hatte ich mir mehr Beschreibungen erhofft, die Lust auf eigene Abenteuer machen. 


Von mir gibt es 3 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 04.10.2022
Verlag:  Gräfe und Unzer Audiobook
ISBN: 9783846409572
Hörbuch
Spieldauer: 5 Stunden und 53 Minuten

Freitag, 27. Januar 2023

Über die See von Mariette Navarro


Mitten auf dem Atlantik verlässt die Mannschaft das Containerschiff und lässt die Kapitänin allein zurück. Ihr Ziel: Einmal fern von allem mitten im Ozean zu schwimmen. Die Zeit scheint still zu stehen, bis sie zurück an Bord sind und ihre Arbeit wieder aufnehmen. Doch etwas hat sich verändert und alle spüren es.  


Mariette Navarros Debütroman kommt eindrucksvoll, poetisch und bildstark daher. Ihre Protagonisten benötigen dazu keine Namen, sondern nur Rangbezeichnungen. Die 38-jährige Kapitänin ist von der ersten Seite an sehr präsent, wirkt souverän und erfahren. Sich selbst bezeichnet sie als vom "Land Verstoßene", die sich nur auf dem Meer zu Hause fühlt. Man traut ihr zu, dass sie ihre 20-köpfige Crew im Griff hat und einen Frachter zu führen versteht. 

Um so erstaunlicher ist es, dass sie ihrer Mannschaft eine unglaubliche Bitte zugesteht. Die Männer wollen mitten im Ozean schwimmen. Die Beschreibungen der Szenerie wirken wie kleine Gemälde, die man lange betrachten kann und immer Neues entdeckt. Man sieht 20 nackte, ausgelassene Männer, die vor Übermut jauchzen und mit starken Schwimmzügen ihre Kräfte testen. 

 "Man zerreißt das Wasser nicht wie ein Stück Stoff, hinterlässt keinen Abdruck wie im Sand oder Schnee. Wer ins Wasser taucht, ist zur Unsichtbarkeit verdammt."

Die Stimmung kippt, als jeder für sich entdeckt, wie klein und allein er inmitten der Untiefen ist. Plötzlich verweigern Wellen die Sicht auf das Rettungsboot und erst als alle wieder an Bord sind, können sie ihr Abenteuer kaum fassen. 

Der gekonnte Perspektivenwandel lässt die Szene noch eindringlicher wirken. Die Kapitänin an Bord, die ihre spontane Entscheidung anzweifelt und sich nicht sicher sein kann, ob die Mannschaft vollzählig zurückkehren wird. 

Die Seeleute zählen ihre Reihen durch und stellen mit Erstaunen eine Zahl fest, die nicht stimmen kann. Ab hier wird die Handlung fast mystisch und genauso undurchdringbar wie der Nebel, der sich wie ein Vorhang dicht um das Schiff legt. Selbst die Motoren kommen nicht dagegen an. Der Frachter wird immer langsamer und mit ihm der Verstand der Kapitänin. Fast wie ein unterschwelliger Spuk, bei dem man jederzeit auf etwas Schlimmes wartet. 

Sie spürt den ungleichmäßigen Rhythmus des Schiffes und spricht besänftigend mit diesem Metall-Koloss, gibt ihm etwas Lebendiges. Zum Ende stellen sich immer mehr Fragen. Was passiert wirklich oder entspringt nur der Fantasie. Der Autorin gelingt es, die Handlung genauso langsam auslaufen zu lassen, wie die Motoren an Kraft verlieren. 

Dieser Roman ist eine überraschende Gefühlsachterbahn in leisen Tönen. Ein Leseerlebnis. 

Von mir gibt es 4 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 24.08.2022
Verlag:  Kunstmann Verlag
ISBN: 978-3-95614-510-0
Fester Umschlag
Seiten: 160





Montag, 16. Januar 2023

Die Liebe an miesen Tagen von Ewald Arenz


Mit Ende vierzig erwartet die alleinlebende Fotografin Clara keine großen Veränderungen mehr in ihrem Leben. Doch von den Schatten der Vergangenheit möchte sie sich allmählich trennen und inseriert ihr Haus zum Verkauf. Zur Besichtigung kommen der Schauspieler Elias mit seiner Freundin. Doch sein Interesse gilt nicht nur Haus und Garten, sondern auch Clara. Die beiden fühlen sich zueinander hingezogen und eine weitere Begegnung zeigt ihnen, dass Glücklichsein nicht nur anderen vorbehalten ist. Der Weg zu einem gemeinsamen Leben liegt vor ihnen, doch diesen Schritt zu wagen ist für beide nicht einfach.  


Ewald Arenz hat auch mit diesem Roman ein besonderes Leseerlebnis geschaffen. Es fühlt sich an wie ein Wannenbad, wenn man sich langsam in das warme Wasser gleiten lässt. Die Worte umfangen einen, lassen die Lesenden in die Geschichte eintauchen und sich wohlfühlen. Besonders die Schilderung der Jahreszeiten, die Besonderheiten der Natur und die Gefühle der Protagonisten sind wundervoll beschrieben. Man baut eine Beziehung zu den agierenden Personen auf, versucht ihr Handeln nachzuvollziehen und entdeckt auch immer persönliche Dinge, die man selbst auch so erlebt hat oder haben könnte.

Die unerwartete Begegnung von Elias und Clara ist anfangs nur die spielerische Freude darüber, einen Wortduellpartner entdeckt zu haben. Doch wenn einem diese Person dann nicht mehr aus dem Kopf geht, wird daraus Verliebtheit, die in den schönsten Farben zeigt, egal in welchem Alter man sich befindet, dass Schmetterlinge im Bauch einen jederzeit treffen können. Anders als in einem klassischen Liebesroman kommt hier das eigentliche Leben dem Glück immer wieder in die Quere. Die Vergangenheit kann man nicht ignorieren und die Angst, verletzt zu werden, wenn man sich einer fremden Person öffnet, ist groß.. 

Claras spröde, ruppig direkte Art ist anfangs gewöhnungsbedürftig. Sie überrumpelt Elias oft mit sehr klaren Vorstellungen und kompromisslosen Ansichten. Gleichzeitig hat sie aber auch Angst, sich ihren Gefühlen zu stellen und hat allerlei Ausreden, warum eine Liebe zwischen ihnen unmöglich erscheint. Der Altersunterschied, der zukünftige Arbeitsortswechsel und Familienprobleme stehen im Weg. Ihr Blick als Fotografin durch das Objektiv zeigt ein anderes Bild von ihr. Die Details, die ihre Kamera einfängt, lassen auch die Person Clara weicher werden. Es macht Spaß, diese Momente mit ihr zu erleben.

Elias wirkt jünger als seine 36 Jahre. Er scheint eher auf der Bühne als auf dem Boden der Tatsachen zu leben. Wenn das Leben zu ernst wird, sucht er nach neuen Wegen und anderen Partnerinnen. Besonders die Beschreibung seines gespielten Willy Loman im "Tod eines Handlungsreisenden" hat mir durch die Bilder, die im Kopf entstehen, sehr gefallen. Sein Charme bezaubert nicht nur Clara. Sehr glaubhaft beschrieben wird, wie überrascht Elias von seinen intensiven Gefühlen für Clara ist:

 "Es war, als hätte er sich die ganze Zeit verfahren, um schließlich völlig überrascht festzustellen, dass er genau dort angekommen war, wo er von Anfang an hingewollt hatte."

Von der anfänglich leichten Welle des Verliebtseins getragen, wechselt die Handlung zu ernsten Themen, die die beiden Liebenden nicht mehr ganz so ungezwungen bewältigen können. Hürden müssen genommen werden, lange Gespräche ohne Ergebnis folgen und Missverständnisse mit daraus resultierenden emotionalen Verletzungen scheinen zum Unausweichlichen zu führen. 

Man wünscht sich so sehr, dass Clara und Elias ein Paar werden und doch fühlt man auch ihre Zerrissenheit. Eine dramatische Wendung macht noch einmal deutlich, dass Gefühle dann am deutlichsten hervortreten, wenn Alltägliches die Priorität verliert und man sich auf das Wesentliche im Leben besinnt.

Ich habe versucht, den Roman so langsam wie möglich zu lesen, um mich von den Worten tragen zu lassen, am Ende habe ich aber doch jedes Kapitel nur so im Flug genommen. Es war schön und aufwühlend zugleich, und ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Roman des Autors.


Von mir gibt 5 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 16.01.2023
Verlag:  DuMont Buchverlag
ISBN: 978-3-8321-8204-5
Fester Umschlag
Seiten: 384




Donnerstag, 12. Januar 2023

Die Unverbesserlichen – Der große Coup des Monsieur Lipaire (Die Unverbesserlichen 1)" von Volker Klüpfel und Michael Kobr


An der Côte d’Azur im beschaulichen Port Grimaud versteht sich Monsieur Lipaires auf  le tout farniente. Kleine Gaunereien, die er mithilfe des jungen Wassertaxifahrers Karim Petitbon durchführt, sichern ihm seinen Alltag als Lebemann. Zufällig finden die beiden einen Hinweis auf einen Schatz, den sie natürlich aufspüren wollen. Doch in Port Grimaud gibt es überall Augen und Ohren, die sich ihren Anteil sichern wollen.  So findet ein chaotisches, aber charmantes Team zusammen, das von einer Katastrophe in die nächste stolpert.

Das Autorenteam Volker Klüpfel und Michael Kobr wendet den Alpen den Rücken zu und startet eine neue Krimireihe in Südfrankreich. In der Gaunerkomödie weht ein Hauch Nostalgie durch die Handlung. Ich hatte Figuren wie Inspektor Clouseau  oder den Schauspieler Louis de Funès beim Hören im Kopf. Die Protagonisten sind dann auch alle herrlich skurril, schräg und überzeichnet. Dass man sich diese Figuren so gut vorstellen kann, liegt vor allem an dem humorvollen Sprachklang des Sprechers Axel Prahl. Jede Figur bekommt eine eigene Stimmfarbe. Besonders die quiekende Stimme des Ex-Fremdenlegionärs Paul Querot und der wienerisch versnobte Dialekt der 84-jährigen Lizzy haben mir sehr gefallen. 

Die Schönen und Reichen an der Côte d’Azur bekommen hier ihr Fett weg. Die einheimischen Anwohner scheinen alle eine eigene Art entwickelt zu haben, mit den dekadenten Zugezogenen zu leben. Der eine nutzt die Gärten, die er betreut, gleichzeitig als Cannabisplantage, der andere vermietet Ferienhäuser, ohne die Besitzer davon zu informieren. Die Handyladenbesitzerin nimmt es mit dem Datenschutz nicht so genau und Ticketverkäufer bieten Fahrkarten für Fähren an, die es gar nicht gibt. Alles mit einem zwinkernden Auge erzählt und durch durchweg sympathische Charaktere so humorvoll erzählt, dass man sich die Szenerie an diesem herrlichen Küstenort bildlich vorstellen kann. 

Der Einstieg ist lustig und Monsieur Lipaires alias Wilhelm Liebherr besticht durch Charme und Bauernschläue. Es gibt in jedem Kapitel etwas zum Schmunzeln, denn dieser bunt zusammengewürfelte Ganoven-Haufen kommt auf die aberwitzigsten Ideen, um das Rätsel des Schatzes zu lüften. Als Gegenspieler dieses Teams kommt die Adelsfamilie Vicomte ins Spiel. Dem Klischee entsprechend besteht die Familie aus einem alten Herrn, einer überengagierten Geschäftsfrau, einer verwöhnten Tochter, einem Lebemann und Trinker und einem abtrünnigen Sohn, die gemeinsam einen geheimnisvollen Monsieur Barral erwarten. Dieser ist eine Schlüsselfigur, der immer wieder in den unmöglichsten Momenten sehr speziell auftritt. 

Ein wenig verliert sich die Handlung und man ist sich nicht sicher, ob es sich noch um einen Krimi mit einem Toten oder doch eher um eine Komödie rund um einen Schatz handelt. Es gibt eine Verfolgungsjagd, die filmreif jedem Bond-Film das Wasser reichen kann und weniger erfolgreiche Manöver, die etwas zäh und langatmig erzählt werden. 

Bei meiner Bewertung bin ich deshalb auch ein wenig hin- und hergerissen. Gaunerkomödien sind schon fast ausgestorben und verdienen es, erhalten zu bleiben. Doch einige Szenen konnten mich so gar nicht abholen. Dass es mir dennoch gefallen hat, liegt auch an der tollen Leistung des Hörbuchsprechers. 

Als Krimireihe kann ich mir das Team "Der Unverbesserlichen" nur schwer vorstellen, lasse mich aber gern vom Gegenteil überzeugen. 

 
Von mir gibt es 3,8 von 5 Punkten

Hörbuchinformationen
Erschienen: 14.11.2022
Verlag:  Hörbuch Hamburg
ISBN: 9783957132772
Dauer: 14 Stunden, 39 Minuten





Montag, 9. Januar 2023

Tomatidin von Michael J. Scheidle


Der im Ruhestand befindliche Rechtsanwalt Otto Meisner hat einen für ihn ungewöhnlichen Auftrag erhalten. Er soll nachweisen, dass Silke Steinheimer von ihrem Mann betrogen wird. Bevor es dazu kommt, ist seine Klientin Witwe und der Rechtsanwalt a. D. auf der Spur eines Mörders. Alte Fälle helfen ihm auf die richtige Fährte, während die Mordermittler noch im Dunklen tappen.  


Michael J. Scheidle hat einen unterhaltsamen Debütkrimi geschrieben, der durch einen lockeren und witzigen Schreibstil kurzweilig daherkommt. Als Fan von kreativen Wortschöpfungen habe ich mich über die ungewöhnlichen Farbbeschreibungen sehr gefreut. Am Ende waren es dann aber doch zu viele Farbtupfer (albinoweiß, kapweiß, solarschwarz, bristolgrün etc.). 

Anwalt Otto Meisner ist ein sehr sympathischer Protagonist und ungewöhnlicher Ermittler. Eher zufällig gerät er in einen Mordfall, der seine Neugier und alte Instinkte weckt. Obwohl die Kommissarin Rita Schmölz durchaus den Spürsinn Meisners zu schätzen weiß, ist sie über seine Alleingänge nicht gerade erfreut. Die toughe Kommissarin hat schon mehr als genug mit einem tollpatschigen und konfusen Mitarbeiter zu tun, der sie laufend von wichtigen Ermittlungen abhält. 

Diesen Mitarbeiter empfand ich anfangs durch seine paddeligen Art noch unterhaltsam, da diese Spezies eher selten im Krimi zu finden ist. Eine besonders schräge Heldentat, die eher in eine Slapstick-Komödie gehört hätte, war dann doch sehr übertrieben. Im wirklichen Polizeialltag hätte dieser Kollege schon längst ein Disziplinarverfahren am Hals oder würde Schafe auf dem Deich zählen.

Am Ende verliert sich ein wenig der rote Faden der Handlung und zu viele Nebenschauplätze lassen keinen durchgehenden Spannungsbogen zu. Ich hätte mir mehr Details zur Spurensuche gewünscht, der Ausflug ins Privatleben der Kommissarin hätte dafür entfallen können. Aber hier scheiden sich die Geschmäcker und jeder mag sich selbst ein Bild machen.

Durch die wenigen Seiten und den fluffigen Stil kann ich mir den Krimi gut als Begleiter für lange Zug- oder Flugreisen vorstellen.

Von mir gibt es 3 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 16.03.2022
Verlag:  Einhornverlag
ISBN: 9783957471291
Flexibler Umschlag
Seiten: 180




Vielen Dank Michael für das Leseexemplar. Ich wünsche Dir viel Erfolg mit dem Krimi.

Freitag, 6. Januar 2023

Miss Veronica und das Wunder der Pinguine von Hazel Prior


Vermögend, einsam, schrullig und eigen lebt die 86-jährige Veronica Mc Creedy auf ihrem schottischen Anwesen, bis sie eine Dokumentation über Adeliepinguine im Fernsehen sieht. Wochen später steht die alte Dame, ausgerüstet mit perfektem Equipment und ihren unverzichtbaren Lieblingshandtaschen selbst zwischen diesen Pinguinen. Nicht nur das Forscherteam ist anfänglich nicht begeistert von dieser hartnäckigen Dame. 

Hazel Prior hat eine äußerst kurzweilige und unterhaltsame Geschichte geschrieben, die zwischen den Zeilen emotional und wissenschaftlich daherkommt. Hauptakteurin ist eine 86-jährige schottische Dame, die in ihrem Leben so einige Schicksalsschläge hinnehmen musste und dadurch kalt und unnahbar wirkt. Als Ich-Erzählerin schildert sie ihr höchst eintöniges Leben und ihre Suche nach einem nahestehenden Verwandten, der sich ihres Vermögens als würdig erweist. Tatsächlich wird Patrick, ein verschollener Enkelsohn, gefunden. Der aber alles andere als akzeptabel erscheint.

 "Wie ist es möglich, dass dieses erbärmliche, schmierige, drogenberauschte Geschöpf mein leiblicher Enkel ist?"

Entschlossen, diesem Nichtsnutz keinen Cent zu hinterlassen, kommt Veronica die Idee, einem Forschungsprojekt ihr Vermögen zu vermachen. In einer Reportage hat sie einen Bericht über Adeliepinguine gesehen, der sie begeistert. Spontan nimmt sie ihr Vorhaben in Angriff und plant einen Besuch der Forschungsstation. Es ist beeindruckend und witzig, wie zielorientiert und beratungsresistent die alte Dame ihren Plan in die Tat umsetzt. Selbst als die Forscher ihr klar machen, dass eine 86-Jährige nichts in der Arktis verloren hat, bleibt sie resolut und lässt sich auch nicht durch schlechtes Essen oder sanitäre Unzulänglichkeiten abschrecken. 

Nach und nach wird deutlich, dass die beeindruckende Charakterstärke, der eiserne Wille und die harte Schale Veronica Jahrzehnte lang vor ihrer Vergangenheit geschützt haben. Fern der schottischen Heimat lernt sie loszulassen und sich zu öffnen. Ein Pinguin-Waise wird für sie zur neuen Aufgabe und unbeeindruckt aller Verbote durch die Forscher zieht sie den kleinen Pinguin in der Station auf. 

 "Die Pinguine verströmen Lebensfreude. ... Trotz ihres Lärms, ihres Geruchs und ihrer enormen Mengen Guano mag ich Pinguine schon jetzt viel lieber als Menschen."

Es ist vielleicht eine Spur zu viel an unglaubwürdiger Eigeninitiative, die Veronica an den Tag legt. Etwas zu wenig Gegenwehr von den Forschern, die die Anwesenheit der alten Dame in der Arktis akzeptieren. Aber der herzerfrischende Erzählstil der Autorin macht diese Punkte mehr als wett. Dem wiedergefundenen Enkel mit eigenem Handlungsstrang hätte es gar nicht bedurft, um diese Geschichte unterhaltsam zu gestalten.

Interessant sind die Texte der Forscherin Terry, die als Pinguin-Blog-Einschübe die Handlung begleiten. So erfährt man ganz nebenbei noch etwas über das erstaunliche Leben der Pinguine. 

Mich hat dieser Roman gut unterhalten und zum Schmunzeln gebracht. 


Von mir gibt es 4 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 15.11.2021
Verlag:  Goldmann
ISBN: 9783442492053
Flexibler Umschlag
Seiten: 464





Mittwoch, 4. Januar 2023

Zur See von Dörte Hansen


Verbunden mit ihrer Insel lebt die alteingesessene Familie Sander schon Jahrhunderte an der Nordsee. Jens fährt schon lange nicht mehr zur See und seine Frau Hanne mag keine Zimmer mehr an Feriengäste vermieten. Ihre drei erwachsenen Kinder fühlen jeder für sich den Verlust von Tradition und die Angst vor Veränderung, die auch Befreiung bedeuten kann.  Nicht   nur diese Familie ist im Aufbruch, durch die ganze Insel geht ein Ruck, bei dem am Ende das Meer das letzte Wort hat.


Dörte Hansen hat einen wundervoll ruhigen und gleichzeitig aufwühlenden Roman über den Wandel der Nordseeinseln geschrieben. Eine Seefahrer-Familie, wie es unzählige auf den Inseln gibt, bildet den Rahmen für eine intensive Betrachtung des Unaufhaltsamen, dem Verlust von alten Traditionen, aussterbenden Dialekten und dem Suchen von neuen Werten.

 Die Charaktere werden so intensiv und kraftvoll mit ihren Ecken und Kanten beschrieben, dass sie fast greifbar und spürbar werden. Wenn Eske Sander morgens nackt mit all ihren Tätowierungen zum Schwimmen ins Meer geht, kann man das nachspüren. Man hört die harten Bässe, wenn sie mit ihrem Auto über die Insel fährt und keinem Touristen den Weg freimacht. Man kann sich die Treibholzwesen von Henrik Sander vorstellen, die in seiner Werkstatt auf das eine, vollendende Stück Treibgut warten. Dieser unruhige Mann, der vom Meer lebt und ohne es nicht sein kann. Die Last und Angst, die den ehemaligen Kapitän Rykmer Sander treibt und die er nur im Vollrausch erträgt, legt sich wie ein dunkler Schleier um einen.

Dabei gibt es kaum Dialoge, sondern nur Schweigen und Handeln. Besonders glaubwürdig und erlebbar wird dies von Nina Hoss mit Leidenschaft gelesen.

Es gibt so viele kleine Dinge, die ich gar nicht alle erwähnen kann. So detailliert beschriebene traurige und düstere Szenen, bei denen man einen Moment innehalten muss. Eine einsame Frau, die nach und nach ihre ganze Familie beerdigen musste und nur noch ihren altersschwachen Dackel durch den Ort trägt und selbst der Inselpastor sich beim Aufeinandertreffen still abwendet, weil er ihr keinen Trost mehr spenden kann.

Die zwei Gesichter der Mutter, die während die Feriengäste im Haus sind, freundlich und gelöst ist und nach der Saison wieder zu schweigen beginnt.

 "Und Hanne hängt an diesem Brocken Land, sie weiß nur manchmal nicht, ob dies noch ihre Insel ist. Vielleicht gehört sie längst den Wellenreitern und den Wolkenmalern, den Nacktbadern und Muschelsuchern - oder den Eintagsfliegen, die in Schwärmen jeden Tag vom Festland kommen, eine Inselrunde mit der Pferdekutsche drehen, Kaffee trinken in der Leuchtturmstube, weiterzuckeln Richtung Inselkirche, Vogelkoje und Museum, einmal kurz die Promenade rauf und runter, Abendessen im Klabautermann und mit der letzten Fähre wieder auf das Festland, wo die Reisebusse auf sie warten."

Inselbewohner führen in Trachten und Seemansskluft für Inselgäste tagein, tagaus ein Stück auf, an das sie selbst nicht mehr glauben und selbst der Inselpastor Matthias Lehmann inszeniert seine leidenschaftlichen Predigten mit goldbestäubten Muscheln, bis die Saison zu Ende ist und seine Kirchenbänke sich wieder leeren.

Trotz meiner Liebe zum Meer und deren Inseln werde ich wohl nie wieder eine Insel betreten, ohne an die Menschen zu denken, die uns Gäste ertragen müssen und deren Welt eine andere geworden ist.

Es ist ein düsterer Roman, der wenig Licht zulässt. Aber die Intensität der Worte, die Beschreibung der Natur und die Kraft des Meeres und die wundervollen kantigen Charaktere haben mich einfach begeistert. Für mich eine klare Hörempfehlung.


Von mir gibt es 5* von 5 Punkten

Hörbuchinformationen
Erschienen: 28.09.2022
Verlag:  Random House Audio
ISBN: 978-3-8371-6068-0
CD's
Laufzeit: 7h





Die guten Frauen von Safe Harbour von Bobbi French


Ein hartes und einsames Leben auf der Insel Neufundland liegt hinter Frances Delaney als sie mit 58 Jahren erfährt, dass ihr Leben durch einen Hirntumor in nächster Zeit beendet wird. Einzig der jungen Edie vertraut sie sich an und gemeinsam kehren sie an den Ort zurück, an dem Frances Glück und Schmerz erleben musste.   

Bobbi French hat mit ihrem Debütroman eine feine, ruhige und emotional dichte Geschichte geschrieben, die den Lebensweg der 58-jährigen Frances Delaney nachzeichnet. Die Autorin lässt ihre Protagonistin aus der Ich-Perspektive heraus in einer sehr sachlichen Sichtweise ihr bewegendes Schicksal schildern. In Rückblicken wird mehr und mehr klar, warum Frances zu dieser zurückgezogenen einsamen Frau geworden ist. Es tut weh zu lesen, wie durch Intoleranz und ein verqueres Weltbild einem jungen Mädchen großes Leid angetan wurde. 

Früh muss sich Frances allein ihren Herausforderungen stellen, denn durch den Tod ihres Vaters sieht sich ihre von Depressionen geplagte Mutter nicht mehr in der Lage, sich um sie zu kümmern. Halt findet sie in der Freundschaft mit Annie, eines lebensfrohen und quirligen Mädchens. Durch eine katastrophale Fehleinschätzung trennen sich die Wege der Freundinnen und Frances beginnt allein ein neues Leben.

40 Jahre später treffen Frances und Annie sich wieder. Dieser Teil ist mit so viel Wärme und Einfühlungsvermögen geschrieben, dass man sich gut in die beiden Frauen hineinversetzen kann. Beide haben durch die Trennung Wunden erlitten, die erst langsam geschlossen werden können. Dieses Annähern, Abtasten, Zuhören und Fühlen ist deutlich spürbar und ist für mich der beste Teil des Romans. 

Am Ende ihrer Lebensreise muss sich Frances ihren Ängsten nicht mehr allein stellen und findet Unterstützung bei einer alten und einer jungen Freundin. 

 "Rings um mich herum Wasser, das einen unglaublichen Durst stillte, von dem ich nicht einmal wusste, dass ich ihn hatte. Ich hatte dem Ozean die Stirn geboten und gewonnen, mein Preis ist diese Heimkehr, von der ich jetzt wusste, dass ich sie verdiente."

Dieser Roman hat mich sehr berührt und auch nachdenklich gestimmt. An jeder Lebens-Wegkreuzung sollte man kurz innehalten und überlegen, ob es der richtige Weg ist. Vor allem sollte man aber Menschen, die einem am Herzen liegen, nicht zu schnell aufgeben. 

Bis auf einige wenige Längen und sehr kleine überemotionale Stimmungen ist es ein sehr gelungener Roman. Leseempfehlung. 


Von mir gibt es 4,5 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 31.08.2022
Verlag:  Diederichs
ISBN: 9783424351248
Fester Umschlag
Seiten: 352





Montag, 2. Januar 2023

Der Strand: Vermisst von Karen Sander


Im idyllischen Sellnitz auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst wird die 19-jährige Lilli Sternberg vermisst. Kurze Zeit später erhält Ihre beste Freundin ein Handy-Foto mit einer verschlüsselten Nachricht. Trotz Großaufgebot der Polizei wird außer dem Fahrrad der jungen Frau nichts gefunden. Gab es einen Streit zwischen ihr und ihrem Freund oder weiß Lillis Freundin mehr als sie sagt.  


Karen Sanders "Der Strand" bildet den Auftakt zu einer dreiteiligen Thriller-Serie. Kurze Kapitel und ein leichter Schreibstil erlauben einen schnellen Lesefluss. Das Geschehen rund um die vermisste Lilli Sternberg wird als Einstieg in die Handlung nur kurz umrissen. Deutlich detaillierter wird das Privatleben des Kriminalhauptkommissars Tom Engelhardt beschrieben. Als alleinlebender Vater mit einer kleinen Tochter im Kindergartenalter wird sein Problem, das Privat- und Berufsleben zu koordinieren, stark herausgearbeitet. Auch bei der vom LKA zugewiesenen Kryptologin Mascha Krieger werden viele Hintergrundinformationen über die Protagonistin vermittelt, bevor diese ihre Arbeit in Sellnitz aufnimmt. Für einen Thriller nimmt die Handlung durch die vielen Personendetails erst sehr langsam Fahrt auf. 

Die Ermittlungen des unfreiwillig zusammengesetzten Duos wirken teilweise sehr konfus und unprofessionell. Zeugen werden nur oberflächlich befragt, Informationen zu wenig ausgewertet und offensichtlich wichtige Details außer Acht gelassen. Viele Verdächtige werden in den Fokus gerückt, um im nächsten Kapitel wieder fallengelassen zu werden. Am Ende hat man das Gefühl, das jede erwähnte Person in den Fall involviert ist, ohne genaue Informationen zu erhalten, warum dies eigentlich so ist. 

Die Handlung wirkt sehr konstruiert und man hat nicht wirklich das Gefühl, einem zeitlich nachvollziehbaren Geschehen zu folgen. Als dann noch weitere Kripobeamte aus Greifswald ins Geschehen eingreifen, wird es richtig konfus. Die Ereignisse überschlagen sich förmlich und die bisher dahinplätschernde Story wird durch fast parallel ablaufende Vorfälle fast schon überfrachtet. Ein gelungener Spannungsbogen sieht anders aus. Selbst Protagonistin Mascha hat dieses Gefühl: 

 "Der ganze Fall ist so undurchsichtig. Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, im Nebel herumzustochern."

Die angekündigte Hochspannung des Klappentextes habe ich in diesem Band nicht entdecken können. Dies ist der erste mehrteilige Roman, den ich gelesen habe, der mit keinem eindeutigen Ende oder einer halbwegs zufriedenstellenden Zwischenlösung daherkommt. Mich lässt das Gelesene unzufrieden und nicht mit Spannung auf die Fortsetzung zurück. 

Von mir gibt es 2,3 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 01.12.2022
Verlag:  Rowohlt TB
ISBN: 978-3-644-01205-9
Flexibler Umschlag
Seiten: 368