Dienstag, 8. Dezember 2020

Zugvögel von Charlotte McConaghy

    Erscheinungsdatum: 26.08.2020    
    Verlag:
FISCHER E-Book     ISBN: 978-3-10-491141-0    
     ebook:
400 Seiten     Leseprobe    
     Meine Bewertung:
5 von 5 Punkten 
In ferner Zukunft machen sich die letzten Zugvögel unserer Welt auf ihre anstrengende Reise von der Arktis in die Antarktis. Ornithologin Franny Lynch will den Küstenseeschwalben auf Ihrer Reise folgen. Verzweifelt sucht sie ein Schiff, um die Vögel begleiten zu können. Was als Forschungsreise beginnt, entwickelt sich nicht nur für Franny zu einem dramatischen Kampf ums Überleben, denn auch Hochseefischer-Kapitän Ennis hat eine Mission zu erfüllen.
Charlotte McConaghy hat einen wundervollen Schreibstil, der Gefühle und Bilder malt. Dieser Debützukunftsroman hat Sogwirkung. Icherzählerin Franny polarisiert. Eine außergewöhnliche Frau. Wild, ruhelos und so verletzlich, mit einem traumwandlerisch festen Ziel vor Augen. In Rückblicken erfährt man Puzzleteil für Puzzleteil, was sich in ihrer Vergangenheit zugetragen hat. Ihre Sehnsucht nach dem Meer, ihre Unruhe an einem Ort zu bleiben, ihre Liebe zu Ehemann Niall. Obwohl sie ihren Mann so sehr liebt, tragen ihre Wanderfüße sie immer wieder von ihm fort. Vergisst sie das Hier und Jetzt und lässt sich treiben. Man spürt immer deutlicher, etwas Schreckliches ist geschehen. Sie war im Gefängnis, soll jemanden getötet haben. Aber so sehr man sich auch den Kopf zermartert, man kommt einfach nicht näher an dieses Unglück heran.
"Wenn ich in der Antarktis angekommen bin und meine Wanderung beendet ist, dann werde ich sterben."

Franny muss sich ihre Mitfahrgelegenheit auf dem Hochseefischer hart erarbeiten. Die Arbeit auf dem Schiff ist schmerzhaft gut beschrieben. Trotz ihrer blutenden Hände übt sie Knoten um Knoten, um später beim Goldenen Fang wirklich eine Hilfe sein zu können. Unerbittlich achtet dieser bunt zusammengewürfelte Menschenschlag einer Crew darauf, dass sie ihren Aufgaben nachkommt. Diese Crew ist rau, aber jeder für sich ein besonderer lebensechter Charakter und spürbar beschrieben. 

Als das Trinkwasser knapp wird und der Stromgenerator ausfällt, liegt Meuterei in der Luft. Die Wut und Erschütterung der Mannschaft ist förmlich greifbar. Denn obwohl der Sender an der Schwalbe schon längst kein Signal mehr sendet, lässt Ennis vom selbstmörderischen Unterfangen nicht ab.  

"Man kann die Wirkung eines Lebens an dem messen, was es gibt und was es hinterlässt, aber man kann sie auch an dem messen, was es der Welt wegnimmt."

Der Handlungsbogen wird geschickt aufgebaut und fast atemlos verfolgt man die Reise ins Ungewisse. Denn wohin diese Reise führen soll, erklärt sich nicht. Was geschieht, wenn die Vögel gefunden werden. Frannys Ziel bleibt bis zum Ende verborgen und wird dramatisch aufgelöst. 

Verbunden mit einer Liebesgeschichte, die weit über Begreifbares hinaus und ans Herz geht, trifft die Handlung genau den Zeitgeist. Das vermutlich unaufhaltsame Arten- und Natursterben wird auf eindringliche Art in diesem Roman deutlich gemacht. 

Auf den nächsten Roman der Autorin darf man gespannt sein.  

Freitag, 4. Dezember 2020

City of Girls von Elizabeth Gilbert

    Erscheinungsdatum: 27.05.2020    Verlag: FISCHER 
    ISBN:
9783104036526     ebook: 496 Seiten     Leseprobe  
    Meine Bewertung:
4,5 von 5 Punkten 
Das College interessiert Vivian Morris herzlich wenig. Genervt von seiner renitenten Tochter entlässt ihr Vater die 19-Jährige im Sommer 1940 zu ihrer Tante Peg nach New York. Die aus wohlbehütetem und spießigen Bürgertum stammende Vivian staunt nicht schlecht, als sie das Revuetheater ihrer Tante auf dem Times Square betritt. Ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Überlebenskünstlern geht hier ein und aus. Mit Revuegirl Celia verbindet Vivian eine enge Freundschaft. Mit ihr lernt sie das Nachtleben mit all seinen bunten und schäbigen Facetten kennen. Trunken von Musik, Cocktails und langen, heißen Nächten genießt sie das Leben in vollen Zügen in einer nicht endenden Party, bis der Krieg dem wilden Leben ein Ende bereitet.

Elizabeth Gilbert lässt Vivian als alte Frau ihr Leben sprichwörtlich Revue passieren. Von Anfang an hatte ich das Bild eines Hollywood-Films voller Glitzer, Unterhaltung, schöner Menschen und Leidenschaft im Kopf. Vivian ist jung, naiv, verzogen und draufgängerisch. Ihre mitreißende Art und die Leidenschaft, Dinge anzugehen, macht Spaß zu lesen.

"In jenem Sommer suchen wir förmlich nach Scherereien, und wir hatten nicht die geringsten Schwierigkeiten, welche zu finden"
Im Vordergrund stehen die unterschiedlichsten Frauen, die ihr Leben allein in den 40er-Jahren meistern müssen. Als Rahmen dient ein altes, in die Jahre gekommenes, verstaubtes Revuetheater, das die untere Arbeiterschicht zu unterhalten versucht. 

Tante Peg, lebenslustig, schwermütig und gezeichnet vom Leben, versucht mit allen Mitteln, dem Theater alten Glanz zu verleihen. Insgeheim kann sie ihre Liebe des Lebens nicht loslassen, obwohl sie schon lange voneinander getrennt leben.
Die an eine verbitterte Gouvernante erinnernde Geschäftspartnerin von Peg, die jeden Cent Tag für Tag zählt und dem drohenden Bankrott nichts entgegenzusetzen hat. Aber wie ein Fels in der Brandung an Pegs Seite steht und für Vivian eine Schlüsselfigur wird.
Wunderschöne, blutjunge Revuegirls, die sehnsüchtig darauf hoffen, entdeckt zu werden, tanzen sich die Seele aus dem Leib. Doch mehr als ein schönes Anhängsel für einen alten Geldsack werden sie meistens nicht.
Ein junges Mädchen in einem Secondhandklamotten-Laden, das für ihre Eltern schuftet. Völlig unscheinbar, übersehen und fast schon verachtenswert, mit einem hellen Verstand und kreativen, wundervollen Ideen. 

Der Wandel vom glitzernden New York in eine kriegsgebeutelte Stadt wird gut herausgearbeitet. Plötzlich wirken die Protagonistinnen erwachsen, überlegt und wenig kapriziös. Jede für sich hat ihr Päckchen zu tragen und nicht immer ist vorhersehbar, wohin sie das Leben führt. 

Am Ende fast schon melancholisch schön, ist man rundherum gut unterhalten worden.  

Donnerstag, 19. November 2020

Black Sun von Owen Matthews

    Erscheinungsdatum: 30.10.2020     Verlag: Lübbe    
    ISBN:
9783404183371     Flexibler Einband: 432 Seiten
    Leseprobe     Meine Bewertung: 3 von 5 Punkten 
Aufrüsten, Wettrüsten, Kalter Krieg. Atomwaffen in Ost und West sollen das Gleichgewicht halten, den Frieden sichern. Doch wie sicher sind wir in dieser Welt voller alles vernichtender Waffen. 1961 entwickeln die Sowjets in einer geheimen russischen Stadt eine Bombe, die alles Vorstellbare übersteigt. Wenige Tage vor dem ersten Test stirbt ein Physiker an einer Thallium-Vergiftung. Selbstmord - wie es scheint. Moskau zweifelt und schickt seinen besten KGB-Mann. Oberst Wassin wird es nicht leicht gemacht, denn in Arsamas-16 gelten russische Regeln nicht.

 

Owen Matthews hat auf der Grundlage von wahren Begebenheiten diesen Thriller geschrieben. Das Thema ist nicht neu, denn schon oft wurden russische Atomtests oder Weltvernichtungswaffen als Thema für spannende Romane verwendet. Außer, dass hier ein Wahrheitsfunke verbaut wurde, findet man nicht viel Neues. KGB Militärs, die sich gegenseitig misstrauen, ihre Macht missbrauchen, einschüchtern. Die anfängliche Sympathie, die man für Oberst Wassin entwickelt, schwindet schnell. Sein Privatleben ist alles andere als vorbildlich, seine Wahrheitsliebe erdrückt durch Gehorsam und Verzweiflung. 

Personen bleiben oberflächlich, Schatten ihrer selbst. Dabei hätten sie durchaus Potenzial für Tiefe und Emotionen geliefert. Besonders die junge Ehefrau vom Leiter des Bombentests hat eine schwere, leidvolle Vergangenheit. Doch statt Gefühle zu transportieren, werden nur Plattitüden verwendet.

"Wer unter Wölfen lebt, muss mit ihnen heulen"

Viel Detailliebe wird dagegen auf technische Elemente verwendet. Welche Materialien werden in der Bombe verbaut, wie funktionieren die Abläufe während der Startphase und welche Auswirkungen wird die Detonation haben. Das Umfeld der Arbeiten bleibt dagegen farblos. Wie sehen die Labore aus, die geheime Stadt mit ihren Bewohnern. Wie lebt man als Geheimnisträger mit westlichen Luxusgütern fern des russischen Alltags. Hier bleibt es der Fantasie des Lesers überlassen, sich ein Bild zu machen. 

Die Ermittlungen laufen - wie erwartet - schleppend. Wassin läuft gegen Wände und Vorgesetzte an. Trotz seiner hartnäckigen, überheblichen Art kommt er nicht wirklich weiter. Der Einblick in sein Privatleben ist wenig hilfreich und teilweise ermüdend zu lesen. Die Handlung will keine Fahrt aufnehmen und der versucht aufgebaute Spannungsbogen überrascht am Ende nicht wirklich. 

Mich konnte dieser Thriller nicht fesseln und blieb trotz des furchtbar und undenkbaren Szenarios nicht lange in Erinnerung. Technisch begeisterte Leser finden sicherlich mehr Inhalte, die sie begeistern können. Mir war die Handlung wichtiger und leider nicht durchgehend greifbar.  

Montag, 9. November 2020

Alte Sorten von Ewald Arenz

Erscheinungsdatum: 21.07.2020    
Verlag: DuMont Buchverlag     ISBN: 9783832165307   Flexibler Einband: 256 Seiten     Leseprobe    
Meine Bewertung: 5 von 5 Punkten 
Wieder einmal ist die siebzehnjährige Sally auf der Flucht. Doch diesmal scheint sie Erfolg zu haben, niemand verfolgt sie, bringt sie zurück in die Klinik. Auf ihrem Weg in die Freiheit trifft sie Liss, die auf einem Bauernhof lebt und arbeitet. Fast stillschweigend kommen sie überein, dass Sally bei Liss übernachten kann. Aus einer Nacht werden Monate, in denen beide merken, wie gut ihnen die Anwesenheit der anderen tut.

Ewald Arenz hat einen wundervollen klaren Schreibstil, der alltägliche Dinge besonders wirken lässt. Selten wird Erde, Holz, Obst und Kartoffeln, Federvieh, Bienen und Wild so viel liebevolle Aufmerksamkeit zuteil. Das Hofleben ist so lebendig beschrieben, man kann die erwähnten Düfte von Birnen und Weinbeeren fast schon selbst riechen und hat den Geschmack auf der Zunge. 
"Sie lutschte an der kalten Beere und hatte auf einmal eine überwältigend aromatische Süße im Mund, die überhaupt nicht nach Weintraube schmeckte, sondern nach Muskat und irgendwie nach Honig und nach Äpfeln im Gras." 
Der Herbst mit all seinen Facetten gibt die Stimmung vor. Hier spürt man in jeder Zeile die Naturleidenschaft und besondere Beobachtungsgabe des Autors.

 "Was war in diesem Septemberleuchten, in diesem hohen Himmel, in diesem Morgen? Es war, als wollte die Welt noch einmal zeigen, wie schön sie sein konnte, wie viele Farben sie hatte, wie frisch sie riechen konnte."

Aber auch die Verletzlichkeit der beiden Frauen, denen man sich sehr nah fühlt, ist deutlich spürbar. Besonders überraschend, dass ein männlicher Autor mit so viel Feingefühl die Empfindungen wiedergibt. So unterschiedlich beide Protagonistinnen sind, haben sie doch beide ganz besondere Schicksale zu meistern. Der Handlungsbogen wird sanft und leise aufgebaut. Mal werden versteckte Narben auf der Haut sichtbar oder gut verborgene Emotionen suchen sich ihren Weg an die Oberfläche. Man ahnt nicht im Mindesten, warum die verschlossene, mit dem Leben hadernde Liss von den Dorfbewohnern gemieden wird, kein Kontakt gepflegt wird. 

Es tut gut zu beobachten, wie aus einer unsicheren, zerrissenen und wütenden Sally langsam ein anderer Mensch wird. Sie entdeckt bei der Hofarbeit jeden Tag neue wundervolle Dinge, die sie beruhigen und begeistern. Liss gibt ihr den Freiraum, den sie so lange gesucht hat. Bei ihr gibt es keine Regeln, denn diese gibt allein die Natur und das Hofleben vor. 

Die Annäherung der beiden unterschiedlichen Frauen geschieht so zart und bewegend. Man fühlt das Herantasten und Zurückweichen, die Sehnsucht nach Freundschaft und Nähe. Gerade als man das Gefühl bekommt, die beiden könnten sich dauerhaft Halt geben, wird es überraschend spannend und dramatisch. Man bangt um beide bis zum Schluss, der dann klug und nachvollziehbar die letzten Zeilen füllt.

Mich hat dieser besondere Roman mit seiner feinfühligen Art, der besonderen Herbststimmung und der bewegenden Geschichte in seinen Bann gezogen.   

Sonntag, 8. November 2020

Nachts im Wald von Kilian Schönberger

    Erscheinungsdatum: 17.08.2020    
    Verlag:
Goldmann     ISBN: 9783442159925    
    Flexibler Einband      
208 Seiten     Leseprobe    

    Meine Bewertung:
4 von 5 Punkten 
Naturfotografien gibt es viele, aber die nächtliche Landschaft bleibt häufig sprichwörtlich im Dunklen.

Landschaftsfotograf Kilian Schönberger hat sich der nächtlichen Fotografie verschrieben. Mit diesem handlichen Bildband schildert er seine Wanderungen durch deutsche Wälder auf der Suche nach Bildmotiven. Wunderschöne Nachtaufnahmen von dunklen Baumriesen oder in Nebel gehüllte Bergketten sind dabei entstanden und untermalen seine Berichte. 

Besonders ein Foto des Hintersees mit Spiegelung des Bergpanoramas hat mir sehr gefallen. 

Ganz nebenbei erfährt man etwas über Flora und Fauna und bekommt den einen oder anderen Tipp für ein interessantes Ausflugsziel. Für Hobbyfotografen hat der Profi noch detaillierte Informationen über Kameraeinstellung und Wetterbedingungen parat. Denn nur wer lernt, das Wetter im Blick zu haben und seine Kamera beherrscht, wird annähernd schöne Fotografien zaubern können. 

Dieses Buch macht Lust, Taschenlampe und Smartphone zu Hause zu lassen und die Dunkelheit neu kennenzulernen. Ein wenig Mut gehört schon dazu, denn der Autor empfiehlt, allein dieses Erlebnis zu wagen. Nur so könne man die Eindrücke richtig wahrnehmen. 

 Weitere wunderschöne Bilder sind auf der Homepage des Autors zu finden: http://www.kilianschoenberger.de/

Samstag, 7. November 2020

Dort, wo die Zeit entsteht von Claudia Wengenroth

    Erscheinungsdatum: 28.09.2020     Verlag: Diederichs  
    ISBN:
9783424351132     Fester Einband: 176 Seiten
    Leseprobe     Meine Bewertung: 3,5 von 5 Punkten 
Eine Auszeit vom anstrengenden Krankenhausalltag, das wünscht sich die Ärztin Katharina in der Zeit nach Weihnachten. In der abgelegenen Berghütte ihrer Familie richtet sie sich ein, einige Tage ohne Kontakt zur Außenwelt zu verbringen. Doch die erhoffte Erholung bleibt aus. Stattdessen plagen sie wirre Träume und die Dunkelheit drückt aufs Gemüt. Die alte Irmelin, Wächterin der Hütte, hilft mit Geschichten über "Die wilde Jagd" und den Raunächten auch nicht ruhiger zu werden. Erst als Katharina bereit ist, sich ihren Ängsten zu stellen, beginnt sie zu verstehen.

Claudia Wengenroth macht es dem Leser nicht leicht, in die Geschichte hineinzufinden. Zusammenhanglos wechselt die Handlung zwischen Realität und Traum. Winde, die über das Land ziehen, erzählen ihre Geschichte. Sind Übeltäter, wenn die Menschen in den Raunächten unruhig schlafen und sich alte Geschichten erzählen. Da ich weder von "Raunächten" oder "Der wilden Jagd" vorher etwas gehört habe - als Flachländer kennt man keine unheimlichen Nächte und heftigen Winde, konnte ich mir zwar Winterstürme in dunkler Winternacht vorstellen. Aber der Gedanke an umherstreifende Geister fühlte sich doch sehr fern an.
"Und ein alter, alter Wind, der einen Hauch Norden herweht, wie das Schnauben der alten Herden ... der die Menschen das Schlafen vergessen lässt, der sie ruft und sie den Norden hören lässt."
Obwohl es nur zwei Frauen in der Handlung gibt, kommt man ihnen nicht nahe. Die junge Ärztin, geplagt vom Stress im Krankenhaus und voller Selbstzweifel, kommt nicht zur Ruhe, obwohl man sich in einer vom Schnee umgebenen Berghütte eigentlich wohlfühlen müsste. Die alte Irmelin, von den Dorfbewohnern gemieden, achtet auf die Hütte, wenn niemand dort wohnt. Sie bleibt bis zum Schluss eine Figur, die nicht greifbar, teilweise übernatürlich, ist.

Sich auf sich selbst konzentrieren, in sich hineinhören und neue Wege beschreiten, das will dieses Buch wohl vermitteln. Aber für mich gab es viele verstörende Elemente, die ich nicht zuordnen oder verstehen konnte. Ausgedachte Geschichten, die im Traum lebendig werden und ein Eigenleben führen, deren Bedeutung für mich aber nicht greifbar wurde.

 Vielleicht bin ich zu bodenständig und mit mir selbst im reinen, um in die Geschichte hineinzufinden oder es ist noch zu früh und man muss es tatsächlich zwischen den Jahren lesen.

Donnerstag, 5. November 2020

Das Tartarus Projekt von Gerd Schilddorfer

    Erscheinungsdatum: 16.09.2020     Verlag: ueberreuter     ISBN: 9783800090013     Flexibler Einband
   
304 Seiten         Meine Bewertung: 4,5 von 5 Punkten 
Eine Einladung zu einem VIP-Event verändert das bisher beschauliche Leben des Schriftstellers und Redakteurs Michael Landorff schlagartig. Nicht nur, dass er unerwartet zu einer überaus agilen und motivierten Agentin kommt, die ihn in die Bestsellerlisten katapultieren will, sondern er stolpert förmlich von einem Gefahrennest ins nächste. Sein Gastgeber wird am Festabend brutal ermordet, für den Schriftsteller die Gelegenheit, einen Aufklärungsroman zu schreiben. Was dann geschieht, übersteigt aber bei weitem seine Vorstellungskraft.

 

Gerd Schilddorfer ist mit diesem Thriller ein aktuelles Thema angegangen. Vermeintlich harmlose Drohnen in falschen Händen entpuppen sich als zukünftige Kriegsmaschinen. Kritisch, mal augenzwinkernd und immer am Puls der Zeit beschreibt der Autor ein Szenario, dass einem die Nackenhaare hochfahren lässt. Dabei wird man sofort auf die Seite der anfänglich ahnungslosen Hauptfigur gezogen. Es macht Spaß, Landorff in aberwitzigen Situationen zu begleiten. An seiner Seite ein weiterer Gast der Abendveranstaltung, die Pokerspielerin Alexandra Buschmann, die sich auch nicht erklären kann, warum sie eingeladen wurde. Als Team passen die lebendig und glaubhaft wirkenden Protagonisten sehr gut zusammen. 

Eine Verfolgungsjagd mit diversen Geheimdiensten von München nach Wien führt schließlich in ein Beinahefiasko. Geschickt werden vom Autor falsche Fährten gelegt und Puzzleteile verteilt, die erst am Ende ein Bild entstehen lassen. Trotz der rasanten Handlung nimmt sich der Autor Zeit für Details, was den besonderen Charme der Charaktere ausmacht und Lesevergnügen auslöst. 

Bei aller guten Unterhaltung, die dieser Thriller bietet, kommt man aber doch ins Grübeln. Ich habe häufig parallel zum Buch im Internet recherchiert, wollte mehr über künstliche Intelligenz, Drohnen und Metamaterial wissen. Für dieses Interessewecken des Lesers mag ich die Romane von Gerd Schilddorfer sehr. Man wird neugierig über den Tellerrand zu schauen, Dinge zu hinterfragen, die sonst als Selbverständlichkeit hingenommen werden. 

Auf das nächste Buch bin ich schon sehr gespannt.

„Da war etwas, das im Hintergrund blieb, sich versteckte, wie unter einem Tarnmäntelchen, und sich ins Fäustchen lachte. Und Landorff hatte keine Ahnung, was es war.“

Freitag, 30. Oktober 2020

Männer in Kamelhaarmänteln von Elke Heidenreich


    Erscheinungsdatum: 21.09.2020     Verlag: Hanser Verlag 
    ISBN:
9783446268388     Fester Einband: 224 Seiten    
    Leseprobe
Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
Kleidung, so alltäglich, zweckdienlich und doch voller Geschichten. Elke Heidenreich hat sich genau diesem Thema angenommen. In kurzen, berührenden und unterhaltsamen Geschichten wird der fast ausschließlich vorkommenden Alltagskleidung eine Bühne gegeben.
Elke Heidenreich zeigt sich hier von einer sehr persönlichen privaten Seite. Sie erzählt von Liebe, Familie, Männern, Kindheit und besonderen Ereignissen in ihrem Leben. Es ist der einzigartig authentische und lebendige Schreibstil, der einen sofort in die Geschichte zieht. Sich in ein sündhaft teures Kleid zu verlieben, in das man zu Lebzeiten wohl nie hineinpassen wird und es trotzdem kauft, um es gelegentlich anzuschauen, ist eine herrliche Geschichte.
"Das Einfache, das muss man können. Das Aufgeblasene kann jeder."

Lustig eine Story über eine Rosenhose, die als Running Gag unter Freunden geführt wird und dann leise Töne, wenn es um den verstorbenen Vater geht. Alles in allem pure gute Unterhaltung, am besten mit Unterbrechungen zu lesen, um jeder Geschichte ihren Moment zu gönnen.  

"Manchmal müssen Kleider Träume erfüllen, die nicht zu erfüllen sind"

Donnerstag, 22. Oktober 2020

Die Unschärfe der Welt von Iris Wolff

    Erscheinungsdatum: 24.08.2020     Verlag: Klett-Cotta    
    ISBN:
9783608983265     Fester Einband: 216 Seiten  
    Leseprobe
    Meine Bewertung: 4,5 von 5 Punkten 
Sieben Personen und deren Lebenswege werden betrachtet, deren Gemeinsamkeiten in einem
kleinen Dorf im rumänische Banat liegen.

Iris Wolff
erzählt in einer wundervollen Sprachfarbe in sieben abgeschlossenen Kapiteln von generationsübergreifenden Geschehnissen. Anfangs überrascht der Sprung der Perspektiven. Von Kapitel zu Kapitel wächst man in die Geschichte hinein, versteht die Zusammenhänge. Leise und ohne Anklage finden Themen wie Flucht, politischer Druck innerhalb des kommunistischen Systems und Missstände ihren Platz. Es geht um Familienzusammenhalt, Liebe in unterschiedlichster Konstellation und bedingungsloser Freundschaft.
Für Anfänge musste man sich entscheiden, Enden kamen von allein, wenn man sich nicht entschieden hatte
Mir war bisher wenig über Rumänien bekannt. Ein sozialistischer Vorhang, der gut verschlossen war. Dieser wundervolle Roman macht neugierig und inspiriert.

#DieUnschärfederWelt #NetGalley

Samstag, 17. Oktober 2020

Niksen - Die Kunst des Nichtstuns

    Erscheinungsdatum: 29.09.2020    
    Verlag:
arsEdition     ISBN: 9783845838908  
    Fester Einband:
48 Seiten  
    Meine Bewertung: 4,5 von 5 Punkten 
    Geschenkbuch für liebe Menschen

 

Wie wichtig ist es gerade in diesen unwirklichen Pandemie-Zeiten sich durch kleine Weisheiten und liebevoll gestaltete Seiten ein wenig Licht in den Alltag zu holen.  

Niksen - aus dem Niederländischen - für Nichtstun, die Seele baumeln lassen, ist jetzt genau richtig. Ruhige Bilder mit kleinen Sprüchen helfen abzuschalten und Innezuhalten.

Die Musik steckt nicht in den Noten, sondern in der Stille dazwischen.

Dieses Buch ist hervorragend als nettes Mitbringsel für liebgewonnene Menschen geeignet. Eine literarische Umarmung, jetzt, wo reale Berührungen so fehlen. 

 Mir hat dieses kleine Büchlein sehr gut getan.

Donnerstag, 15. Oktober 2020

Heidehexen von Klaas Kroon

    Erscheinungsdatum: 23.07.2020     Verlag: emons    
    ISBN:
9783740807993     Flexibler Einband: 288 Seiten        Leseprobe     Meine Bewertung: 3,5 von 5 Punkten 
Eine Mordserie erschüttert die Lüneburger Beschaulichkeit. Kommissarin Gläser ermittelt in Finanz- und Filmbranche und findet doch nicht das eine Puzzleteil, was alle anderen miteinander verbindet. Warum mussten zwei völlig unterschiedliche Männer auf grausame Weise sterben und wurden mit einem Zeichen gekennzeichnet?

 

Klaas Kroon schreibt flott, locker und sehr umgangssprachlich.

"Na, Frau Gläser, wir wollen doch jetzt zusammen einen Irren einfangen hier, oder?"

Das Zusammenspiel von sehr unterschiedlichen Charakteren ist interessant zu verfolgen. Kommissarin Gläser wird sehr menschlich, mit Ecken und Kanten beschrieben. Als 38-Jährige lebt sie in einer Studenten-WG, um sich nicht binden zu müssen. Das beschriebene tête-à-tête mit dem Pathologen passt gut zu dieser Rolle. 

Leiter des Kommissariats Stephan Weide muss in einer Nebenhandlung gegen ganz andere Dämonen kämpfen. Er leidet unter Gedächtnisstörungen, die ihm bei einem zurückliegenden Fall schwer belastet haben. Jetzt holt ihn seine Vergangenheit ein und die aktuellen Fälle sind eher einen Nebenschauplatz für ihn. 

Besonders gelungen ist die Beschreibung der Kollegin Irina aus dem LKA Hannover. Mit ihrer unkonventionellen, erfrischenden Art mischt sie als Profilerin die Ermittlungen auf. 

 Auch wenn ich mir mehr Lokalkolorit erhofft hatte - das Cover ist so wunderschön Heide-idyllisch - fesselt dieser Krimi mit einem stetig steigenden Spannungsbogen. Man kommt einfach nicht dahinter, warum so unterschiedliche Männer sterben mussten. Geschickt werden Spuren ausgelegt, die am Ende im Sand verlaufen. 

Wer sich mit Hexen auskennt, weiß, dass es bei ihnen nicht zartbesaitet zugeht. Leser, die gern auf brutale Details verzichten können, sollten besser die Finger vom Krimi lassen

Mittwoch, 7. Oktober 2020

Der kleine Buchsalon am anderen Ende der Welt von Frida Skybäck



Erscheinungsdatum: 14.09.2020 
Verlag:
Insel Verlag    
ISBN: 9783458681069    
Flexibler Einband:
471 Seiten     Leseprobe     Meine Bewertung: 3,5 von 5 Punkten 
Patricia hat alle Hoffnung aufgegeben, jemals wieder etwas von ihrer verschwundenen Schwester zu hören. Doch eines Tages erhält Sie einen Brief aus Schweden, in dem nur die Kette der Schwester liegt. Spontan reist Patricia nach Schweden und versucht, an dem letzten bekannten Ort ein Lebenszeichen zu finden.
Handlungsort ist ein kleiner verträumter Küstenort in Schweden. Leider nur fiktiv, denn die Beschreibung macht Lust, selbst einmal durch den Ort zu schlendern und einen Blick in Monas kleine Pension zu werfen und in ihren Büchern zu schmökern. 
 
Hier spielt auch der Großteil des einen Handlungsstrangs. Patricia steigt hier als Gast ab, Freundin Doris ist Stammgast und natürlich die lebensfrohe, aber völlig überforderte Mona, deren Lebensinhalt die Pension mit ihren Gästen ist. 
Der zweite Handlungsstrang begleitet 1987 Madeleine, Patricias Schwester, die in einer Freikirche als Adeptin aufgenommen wurde. Madeleines anfängliche Begeisterung bekommt erste Risse, als ihre Fragen nach einer ehemaligen Praktikantin ausfluchtartig umgangen werden. 
 
Man ahnt schnell, dass hinter der frommen Fassade ein Geheimnis verborgen liegt. Frauen stehen hier im Mittelpunkt. Ihre Geschichten und Charaktere werden detailliert herausgearbeitet. Sympathiepunkte konnte aber bei mir nur Mona sammeln. Alle anderen wirkten doch gekünstelt und eher oberflächlich beschrieben. Besonders die Jugendfreundin, die als alternde Hollywood-Diva in ihren Heimatort zurückkehrt, habe ich mehr als störend als handlungsergänzend empfunden. 
 
Das Ende überrascht mit einem nicht vorhersehbaren Plot, allerdings überzogen und dramatisch in Szene gesetzt. Man bekommt das Gefühl, dass der Roman unbedingt mit einem HappyEnd abschließen muss. Glaubwürdig war die schnelle Wandlung der Personen für mich nicht. 
 
Dennoch gebe ich dem Roman 3,5 Punkte, da er sich gut lesen lässt und als Urlaubsbegleiter sicher seine Dienste tut.

Montag, 14. September 2020

Vaters Wort und Mutters Liebe von Nina Wähä

          Erscheinungsdatum: 22.06.2020  Verlag: Heyne 
ISBN: 9783453272873 Fester Einband: 544 Seiten     Leseprobe     Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
Es ist Weihnachten im finnischen Tornedal und alle Mitglieder der Großfamilie Toimi finden sich im heimischen Bauernhof ein. Von einer herzlichen warmen Atmosphäre fehlt aber jede Spur. Zu groß ist die Angst vor dem despotischen Vater Pentti. Auch wenn Mutter Siri versucht, die Familie zusammen zu halten, geht doch jeder seinen eigenen Weg, auch wenn er mit den anderen eng verbunden ist. 

Die Familie wird als Rattenkönig beschrieben. Verknotete Schwänze, die eine Trennung unmöglich erscheinen lassen. Nina Wähä ist es hervorragend gelungen, den Knoten zu lösen. Annie, Lauri, Esko, Buckel, Helmi, Onni, Arto, Siri, Pentti, Tarmo, Lahja, Valo, Hirvo und Voitto werden in einzelnen Abschnitten beschrieben, lebendig, eigenständig. 

Was als ein Knäuel Menschen beginnt, endet in einer Geschichte vieler Einzelschicksale, die durch ein enges Familienband miteinander verbunden sind. Der besondere Erzählstil lässt die Protagonisten sehr glaubwürdig erscheinen. Nichts wird geschönt oder verharmlost. Ein Erzähler holt den Leser immer wieder ab, spricht ihn direkt an, so fühlt man sich mit der Geschichte verbunden. 

Geografisch findet man sich in einer düsteren finnischen Gegend wieder. Die Landschaft scheint aufs Gemüt zu schlagen, die Menschen sind schweigsam, in sich gekehrt. Einen Wohlfühlroman findet man hier nicht. Aber die Geschichte besitzt eine hohe Anziehungskraft. Man möchte wissen, was und wann etwas passiert. Denn das etwas passiert, wird vorweg angekündigt. 

"Jemand wird sterben. Und jemand anders wird schuldig sein.
Wir müssen versuchen herauszufinden, wer."

 

Es klingt nach, muss wirken, beschert aber einen hohen Lesegenuss und macht neugierig auf einen neuen Roman aus der Feder von Nina Wähä 


Sonntag, 19. Juli 2020

Flüchtig von Hubert Achleitner

Erscheinungsdatum: 25.05.2020    Verlag: Zsolnay 
ISBN: 9783552059726     Fester Einband: 304 Seiten     Leseprobe   Meine Bewertung: 3,5 von 5 Punkten 
Nach 30 Jahren Ehe wagt Maria den Ausbruch aus dem Alltag. Job gekündigt, Konto geplündert, Ehemann ahnungslos zurückgelassen.  Ohne Ziel drauflos, bis sie die junge Lisa trifft und mit ihr nach Griechenland aufbricht.

 

Hubert Achleitner hat bekanntermaßen Musik im Blut und dies merkt man auch seinem Schreibstil an. Leicht lässt es sich lesen und schöne Bilder entstehen dabei. Man verzeiht die nicht allzu überraschende Handlung und die ein wenig zu klischeehaften Figuren. Manchmal verliert der Autor kurz den Handlungsfaden, schweift ab. Dann gibt es wieder Momente, da möchte man am liebsten nach Griechenland aufbrechen, um genau so einen Moment zu erleben.  

Marias Geschichte wird von Ehemann Herwig und Reisebegleiterin Lisa erzählt. Die unterschiedliche Sicht der Geschlechter ist interessant. 

Heutzutage scheitern viele Ehen. Man lebt sich auseinander, interessiert sich nicht für die Belange des anderen. Der Alltag wird zur Tretmühle. Maria und Herwig stehen für viele Paare, die vielleicht zu spät aufwachen und vor dem Alltagstrott flüchten. Passend dazu bleibt auch im Roman das Ende offen. 

Wer einfach gut unterhalten werden möchte, sich nach Griechenland träumt und keine Paartherapie erwartet, liegt bei diesem Roman richtig.


Freitag, 10. Juli 2020

Amadeus auf dem Fahrrad von Rolando Villazón



Erscheinungsdatum: 16.06.2020     Verlag: Rowohlt     ISBN: 9783498070700   Fester Einband: 416 Seiten     Leseprobe     Meine Bewertung: 3,5 von 5 Punkten 
Vian flieht aus Mexiko vor seinem strengen Vater und dem trostlosen BWL-Studium. Mit 20 will er beweisen, dass er ein gefeierter Opernstar werden kann. Doch all sein Bemühen reicht nicht aus. Zwar bekommt er eine Rolle in Salzburg, nur nicht als Tenor, sondern als Komparse in Mozarts "Don Giovanni". Vian scheint vom Unglück verfolgt zu sein, am Ende findet er aber seinen Weg.

Rolando Villazón bekannt als grandioser Opernstar und Mozart-Fan hat mit diesem Roman seiner Leidenschaft freien Lauf gelassen. Es ist nicht unbedingt die Handlung, die einen fesselt, sondern die Schreibfreude, die man bei jedem Satz findet. Es ist, als würde man als Zuschauer einem Theaterstück folgen. Vieles wirkt übertrieben, gekünstelt, aber genau zu dieser Handlung passt es. 

Zusammen mit Vian gelangt man hinter die Kulissen der Salzburger Festspiele. Hier gibt es Diven, die erst gar nicht zur Probe erscheinen, Mitläufer und Selbstdarsteller. Ein bunter Blumenstrauß voller Emotionen. Vian, der seinem Vater vorgeflunkert hat, er würde eine größere Rolle spielen, spielt auch für sich nur eine Rolle. 

Er findet sich einfach nicht, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass er allabendlich mit einer Mozartstatur spricht, die er freundschaftlich Trazom - so wie Mozart gerne unterschrieb - nennt. Mittellos und unglücklich verliebt bleibt ihm nur Mozart. In seinen Briefen findet er Bestätigung, in seiner Musik geht er auf.

"Vielleicht war ich deshalb nach Salzburg gekommen, um bei der Begegnung mit Mozart eine im Verborgenen lauernde Bestimmung zu finden."

Es kommt, wie befürchtet. Der über alles erhabene Vater holt seinen Sohn zurück in die Heimat. Überrascht von der plötzlichen Vitalität der Hauptfigur nimmt die Geschichte einen unvorhersehbaren Verlauf. 

Dies ist kein großartiger Roman, aber eine Liebeserklärung an alle, die noch träumen können, die Fantasie besitzen und für ihre Freiheit kämpfen. Mozart und Salzburg muss man ja sowieso lieben. Danke Rolando.

Mittwoch, 24. Juni 2020

Ich bleibe hier von Marco Balzano

Erscheinungsdatum: 24.06.2020    
Verlag:
Diogenes     ISBN: 978-3-257-61007-9    
eBook
288 Seiten     Leseprobe

Meine Bewertung: 5 von 5 Punkten 
Idyllisch und ruhig liegt das kleine Bergdorf Graun in den Bergen. Doch ruhig dürfen die Menschen hier nicht leben. Die Faschisten zwingen die deutschstämmigen Bauern italienisch zu sprechen und verbieten deutsche Schulklassen. Für die gerade erst als Lehrerin tätige Trina ein Unglück. Drohend hält sich das Gerücht, dass ein Stausee gebaut werden soll, der Land und Gut überfluten könnte. Durch den 2. Weltkrieg geht ein Bruch durch das kleine Dorf. Viele flüchten nach Deutschland, doch Trina trotzt den Kriegsgefahren und bleibt ihrer Heimat und Graun treu.
Viele sind schon am Reschenstausee vorbeigefahren. Haben den Kirchturm mitten im Wasser bestaunt, ein Foto gemacht und sind weitergefahren. Marco Balzano gibt diesem geheimnisvollen Ort in Südtirol ein Gesicht. Seine beeindruckende Recherche verleiht dieser Geschichte einen besonderen Reiz. In Graun haben sich unglaublich traurige und leidvolle Dinge zugetragen, die durch diesen bewegenden Roman lebendig werden.

Hauptfigur ist die Erzählerin Trina, die ihre Geschichte durch Briefe an ihre Tochter lebendig werden lässt. Glückliche Kindertage weichen schnell der Angst vor den Faschisten. Die kleine deutschstämmige Minderheit in den Bergen ist der italienischen Regierung ein Dorn im Auge. Man fühlt diese Bedrohung in jeder Zeile, Kinder und Lehrerinnen verstecken sich, um deutschsprachigen Unterricht abhalten zu können. Trotz des kargen Lebens gibt es aber auch eine Zufriedenheit, die man wohl nur fühlt, wenn man in den einsamen Bergen aufgewachsen ist. Der Nationalsozialismus zerreißt die Ruhe endgültig. Südtirol wird zum Spielball der Kriegsnationen. Ein Schicksalsschlag nach dem anderen ereilt Trina, die sich am Ende in die Winterkälte der weißen eisigen Gipfel flüchtet, um zu überleben.

Doch wer meint, der Krieg hätte schon genug Schaden angerichtet, der liegt falsch. Ein Energiekonzern nimmt sich dem lange brachliegenden Stauseeprojekt an, gepuscht von den Schweizern, rollen Maschinen und Arbeiterlawinen ins Tal. Zu spät wachen die Bergbauern aus ihrer Lethargie auf und jeder Versuch sich zu wehren, wird zunichtegemacht. Trina, als sprachbegabte Lehrerin, setzt unzählige Schreiben auf, kämpft weiter für ihren Heimatort.
"Ein so reiches, friedvolles Land wie das unsere für einen Staudamm zu opfern sei einfach unmenschlich. Einen Staudamm kann man anderswo bauen, .... eine einmal verwüstete Landschaft kann nie mehr auferstehen."
Mich hat dieser Roman sehr bewegt. Ich wandere gern durch Südtirol. Muss aber gestehen, dass ich mich nie intensiv mit der Geschichte auseinandergesetzt habe. Trina steht für viele Südtiroler, die Heim und Familie verloren haben. Deren Geschichte niemand mehr erzählt.

Geschichte wird hier beeindruckend zum Leben erweckt, regt zum Nachdenken und Recherchieren an. Danke, für diesen wundervollen Roman.

Montag, 15. Juni 2020

This Is (Not) a Love Song Wer glaubt schon noch an Liebe? von Christina Pishiris


Locker, flockige Sommerlektüre

Erscheinungsdatum: 18.08.2020    
Verlag:
Aufbau Verlag     ISBN: 9783746636993     Flexibler Einband: 480Seiten     Leseprobe
Meine Bewertung:
4 von 5 Punkten 

Die Chefredakteurin eines Musikmagazins Zoë freut sich auf ein Wiedersehen mit ihrem besten Freund Simon. Dieser kehrt frisch geschieden zurück nach London und sie hofft, ihm endlich ihre lang verborgenen Gefühle zu zeigen. Doch statt Zeit für ihn zu finden, hat Zoë alle Hände damit zu tun ein einträgliches Interview für die Zeitschrift über den Superstar Marcie zu bringen, deren PR-Manager Nick bei Laune zu halten und nebenbei noch die griechische Hochzeit ihres Bruders vor Augen zu haben.

Die Autorin Christina Pishiris berichtet aus Zoës Perspektive in der Ich-Form in locker flockigem Tonfall. Wie ein roter Faden begleitet Musik den Roman. Jedes Kapitel beginnt mit einem Songtitel, der mehr oder weniger zum Inhalt passt. Mir hat es Spaß gemacht, in die Songs hineinzuhören. Obwohl Zoë mit ihren griechischen Wurzeln sehr sympathisch und quirlig daherkommt, wirkt sie doch ein wenig zu jung und nicht altersgerecht. Einer Chefredakteurin unterstellt man ein wenig mehr Ernsthaftigkeit und Kompetenz.

Sämtliche Nebenfiguren sind glaubwürdig und liebenswert herausgearbeitet. Arbeitskollegen, die sich zoffen und doch auf ein Happy End hoffen, Brautjungfern, die sich auf die Hochzeit ihrer Freundin vorbereiten und natürlich die beiden Männer Simon und Nick, zwischen denen Zoë hin- und hergerissen wird.

Alles dreht sich hier um Liebe, ob in der Vergangenheit, der Gegenwart oder Zukunft. Wer mit wem ist das Hauptthema. Auch wenn für mich recht schnell klar war, wohin die Reise geht, macht es doch Spaß dem Treiben zuzuschauen. Zoë verwickelt sich in unmögliche Situationen, aus denen sie oft nur mithilfe anderer herauskommt. Manches ist ein wenig drüber und ein wenig zu oft wird sich entschuldigt und damit alles wieder gut.

Für mich ein lockerer Roman, der sich gut zwischendurch in der Sonne lesen lässt.


Dienstag, 9. Juni 2020

Niemandsstadt von Tobias Goldfarb

Erscheinungsdatum: 14.02.2020    
Verlag:
Thienemann-Esslinger Verlag GmbH    
ISBN:
9783522202671 Flexibler Einband: 368 Seiten    Meine Bewertung: 3,5 von 5 Punkten 
Josefine hat ein besonderes Talent: Sie kann in eine andere Welt gelangen. In der Niemandsstadt gibt es Drachen, Feen, Zwerge, zum Teil bissige Wesen. Doch wie genau es ihr gelingt und warum nur sie in diese Stadt springen kann, weiß sie nicht. Als Außenseiterin in der Gegenwart genießt sie die Abenteuer in der Niemandsstadt. Doch plötzlich wird aus den einzelnen Sprüngen ein längerer Aufenthalt und Josefine weiß nicht, wie sie wieder zurückkehren soll. Ihre einzige Freundin Elisabeth setzt alles daran, Josefine zu retten.

Tobias Goldfarb setzt auf kurze knappe Kapitel in flüssigem Schreibstil. Man wechselt zwischen den Protagonistinnen Josefine und Elisabeth, gut erkennbar durch eine andere Schriftart. Hauptfigur Josefine lebt in einer Welt, die durch Social Media geprägt ist. Wer sich ausgrenzt, wird nicht akzeptiert. Elisabeth, viel beliebte Magick-Influenzerin, nähert sich Josefine, als diese die dunklen Träume von ihr deuten kann. Langsam werden die beiden gegensätzlichen Mädchen Freundinnen.

Der Einstieg in die Geschichte ist etwas zäh und gerade die Sprünge zwischen der Niemandsstadt und der Gegenwart wirken verwirrend. Man findet nur schwer Zugang zur Geschichte. Erst nach und nach wird klar, worum es eigentlich geht. Warum Josefine so leicht hin- und herspringen kann. Mich erinnert dieser Roman sehr an eine moderne Version der "Die unendliche Geschichte" von Michael Ende.

Zwar ist Josefine die Hauptfigur, doch beeindruckt hat mich Elisabeth. Sie nutzt die Sozialen Medien, um Geld zu verdienen. Ihre Online-Gestalt ist perfekt gestylt, weiß genau, was ihre Follower interessiert und neugierig macht. Doch hinter dieser Kunstfigur steckt ein kluges, beeindruckendes Mädchen. Eine Kriegerin.

Ein Jugendbuch, das erst auf den zweiten Blick seinen tieferen Inhalt preisgibt. Wacht auf, lasst euch nicht in die Welt des Konsums ziehen und bleibt euch selbst treu. Wäre der Anfang nicht so zäh gewesen, würde ich die volle Punktzahl vergeben.

Donnerstag, 28. Mai 2020

Was koch' ich heute? Vol. 2 von Claudia Conrath


Erscheinungsdatum: 05.11.2019    
Verlag:
BLV     ISBN: 9783835419728    
eBook
     

Meine Bewertung:
5 von 5 Punkten 



Kochsendungen, Podcasts, Bücher, Zeitungen. Überall findet man Rezepte. Selten sind sie aber so gelungen und alltagstauglich wie im vorliegenden Buch der Bayern 3 Community.

Angefangen beim Frühstück über Zwischensnacks, Familienklassiker, Salaten, Reiseproviant und tollen vegetarisch/veganen Gerichten ist wirklich alles zu finden. Keine abenteuerlichen Zutaten, für die man eine Kurzreise planen müsste.

Leichte Kochanleitungen, tolle Tipps zur Abwandlung und natürlich Bilder, um den Appetit anzuregen. Das Linsenchili und das Schweinefilet in Senfsauce musste ich gleich testen.

Dieses Kochbuch macht Lust wieder jeden Tag zu kochen.

Dienstag, 26. Mai 2020

Hiergeblieben! 55 fantastische Reiseziele in Deutschland von Jens van Rooij

Erscheinungsdatum: 06.05.2020    
Verlag:
Travel House Media    
ISBN:
9783834232588     ebook     
Meine Bewertung:
4 von 5 Punkten 
Der Traum vom Reisen ist gerade etwas weiter entfernt als sonst. Aber wie toll ist dieses Buch, das gerade jetzt Deutschland von einer anderen, überraschend spannenden Seite zeigt.


Reisen, Träumen, dem Alltag entfliehen. Wer würde nicht gern die ganze Welt bereisen. Ob es nun aktuell wegen Corona-Beschränkungen oder zeitlichen Möglichkeiten scheitert, dieses Reisebuch bietet wundervolle Alternativen. Wunderschöne Fotografien aus aller Welt wecken die Reiselust.

Das tolle daran ist, man muss gar nicht so weit reisen, um beeindruckende Ziele zu finden. Funkelnde Sterne am Himmel findet man nicht nur in Utah, sondern auch in der Rhön. Es muss nicht der Zhangjiajie Nationalpark in China sein, denn die Sächsische Schweiz kann ebenso begeistern.

Mir hat diese witzige Idee der Weltreiseziele in Bildern verglichen mit einheimischen Zielen sehr gefallen. Gespickt mit interessanten Informationen, Unterkünften, Restaurant und Ausflugstipps findet sicherlich jeder sein naheliegendes Welttraumziel.

Einen Punkt habe ich abgezogen, weil mir die empfohlenen Unterkünfte nicht so richtig gefallen wollten, da hätte ich mir mehr ausgefallene Übernachtungsmöglichkeiten gewünscht. Aber das ist schließlich Geschmackssache.

Ich habe mir viele Ziele herausgesucht und freue mich auf überraschende Entdeckungen ganz in meiner Nähe. Eine absolut empfehlenswerte Reiselektüre.


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#NetGalleyDEChallenge


   



Unter dem Motto „Bücherliebe für alle!“ fordert NetGalley seine Leser heraus, einen Monat lang so viele Rezensionen wie noch nie auf NetGalley und anderen Kanälen zu veröffentlichen und dabei ganz viel Bücherliebe zu verbreiten! Spannende Bücher entdecken, lesen und empfehlen – darum geht es in den kommenden vier Wochen! Ich bin dabei und freue mich auf ganz viel Leseerlebnisse.

Ein tolles Reisebuch habe ich schon entdeckt. Jetzt ist der erste Roman im Lesemodus.

Bin gespannt, wer von Euch mitmacht.
 

Sonntag, 10. Mai 2020

Die Tanzenden von Victoria Mas

Erscheinungsdatum: 06.07.2020     Verlag: Piper
ISBN: 9783492070140    Fester Einband: 240 Seiten     Meine Bewertung: 3 von 5 Punkten 
Frauen leben Ende des 19. Jahrhunderts in Paris gefährlich. Ist man zu aufmüpfig, andersartig oder sogar anderer Meinung als Männer landet man schnell in der Salpetriere, einer Anstalt für psychisch kranke Frauen. Zwar ist der Anteil der einfachen, aus der Unterschicht stammenden Frauen, größer. Aber es gibt auch Eugenie, die durch eine besondere Gabe den Unwillen ihres Vaters, einem bekannten Notar, erregt. Plötzlich schließt ihre Familie sie aus und selbst ihr Bruder beugt sich dem Willen des strengen Vaters.

Vielversprechend hat mich der Klappentext angesprochen. Es wurde eine Hymne auf die Courage aller Frauen versprochen. Doch Victoria Mas hat mit ihrem Roman leider nicht meine Erwartungen erfüllt. Gespannt lässt man sich mitnehmen in das 19. Jahrhundert, in dem die patriachalische Gesellschaft bestimmt, wer gesellschaftsfähig ist und wer nicht. Frauen sind Menschen zweiter Klasse und so werden sie auch behandelt. So wird schnell klar, dass Eugenies Bruder alle Freiheiten besitzt und in ihn große Erwartungen gelegt werden, sie dagegen wird gemaßregelt und zur Raison gerufen.

Leider bleiben die Protagonisten sehr blass und leblos. Man hätte diesen zurückgewiesenen Frauen mehr Emotionen, mehr Leidenschaft geben müssen. Wie hilflos muss sich eine junge Frau fühlen, die in der Salpetriere in einem Hörsaal voller junger Männer zur Schau gestellt wird. Man ahnt diese Demütigung, die Verzweiflung, aber den Worten fehlt die Kraft, um eine mitreißende Geschichte zu formen. Louise ist für mich noch am spürbarsten beschrieben. Sie fühlt sich besonders, wenn der Professor sie zum Schauobjekt deklariert. Hofft auf einen jungen Arzt, der sie aus der Anstalt retten soll. Aber auch ihr Schicksal geht einem nicht wirklich nah.

Was mir gar nicht gefallen hat, ist die spirituelle Gabe von Eugenie. Sie kann mit Verstorbenen kommunizieren und wird natürlich als verrückt erklärt.

Die Geschichte der Salpetriere wurde gut herausgearbeitet. Unvorstellbar, wie schnell Frauen abgestempelt wurden und keine Möglichkeit hatten, sich gegen unhaltbare Vorwürfe zu wehren. Mich hat dieser Roman enttäuscht zurückgelassen. Das Ende nachvollziehbar, aber leider keine Hymne, wie erwartet. Mir haben die Eindrücke der Frauen gefehlt. Ein interessantes Thema mit fehlendem Tiefgang