Dienstag, 25. Februar 2020

Der Empfänger von Ulla Lenze


Erscheinungsdatum:
22.02.2020     Verlag: Klett-Cotta     ISBN: 978-3-608-96463-9     Fester Einband: 302 Seiten     Leseprobe     Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
Im Winter 1925 wandert Josef Klein aus Neuss nach New York aus. Durch einen Zufall findet er Arbeit in einer Druckerei, bekommt einen amerikanischen Passs und ein Zuhause im quirligen East Harlem. Die Zeichen für seinen neuen Lebensabschnitt stehen gut, bis die deutschen Schatten 1939 auch in den USA aktiv werden und auf den Hoppyfunker aufmerksam werden. Der ahnungslose Joe (Josef) lässt sich darauf ein, Zahlencodes nach Deutschland zu senden. Obwohl er langsam ahnt, mit wem er sich eingelassen hat, findet er keinen Ausweg. Bestärkt durch seine Freundin, wehrt er sich gegen die Nationalsozialisten und wendet sich an das FBI. Vor der jahrelangen Haftstrafe in den USA und die anschließende Ausweisung, rettet ihn das aber nicht mehr. Zurück in Deutschland ist er ein Fremder, der sich nirgendwo Zuhause fühlt. Es zieht ihn 1949 weiter bis nach Südamerika, wo ihn schon wieder alte Bekannte erwarten.

Ulla Lenze
erzählt anhand einer fiktiven Romanfigur, die Geschichte ihres Großonkels. Rückblickend erzählt der Protagonist seine Erlebnisse. Er springt zwischen den Zeitebenen, 30 Jahre verschwimmen chronologisch ungeordnet. Das passt sehr gut zur Hauptfigur Josef Klein. Er findet einfach keinen Halt, möchte so gerne Amerikaner sein, doch die Zeit der Nationasozialisten lässt ihm keine Chance. Egal auf welche Seite er sich schlängt, er wird angefeindet, für sein Sein angegriffen. Beinahe emotionslos schlägt sich Josef durchs Leben, erst die Tränen beim Abschied vom jüngeren Bruder lassen ihn lebendig erscheinen.
Beängstigend ruhig wird geschildert, wie Josef in den Sog der Geheimagenten gerät. Erst arglos und unpolitisch, dann immer mehr im bewussten Handeln, hin- und hergerissen zwischen Zwang und Ausweglosigkeit. Gekonnt zeichnet die Autorin ein Bild von den manipulativen Fähigkeiten der Geheimagenten. Nicht die Beschreibung der Personen, sondern ihr Handeln steht im Vordergrund.

Was in den Jahren 1939 - 1950 in den USA für Meinungsbilder über das Hitlerregime herrschten, war mir bisher nicht bewusst. Ein interessantes Thema, das mich sicherlich noch eine Weile beschäftigen wird. Hilfreich ist hier eine Auflistung der Materialien, die die Autorin gesammelt hat.

Mir hat dieser melancholische, nachdenklich stimmende Roman gefallen.



Sonntag, 23. Februar 2020

Acht Berge von Paolo Cognetti

     Erscheinungsdatum: November 2018     Verlag: Penguin      ISBN: 9783328103448     Flexibler Einband: 272 Seiten      Leseprobe     Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
Grana, ein abgelegenes Bergdorf im Monte-Rosa-Massiv ist im Sommer Pietros Heimat. Fern der städtischen Hektik Mailands genießt der Junge seine Freiheit in den Bergen. Zusammen mit dem Viehhirten Bruno, dessen Freundschaft ihm immer mehr bedeutet, erkundet er das verlassene Dorf und bezwingt die raue Natur. Als Dokumentarfilmer zieht es Pietro hinaus in die Welt, doch Grana bleibt sein Rückzugsort und Bruno ein fester Bestandteil darin.

Paolo Cognetti
lässt den Leser an seiner Leidenschaft für die Berge spürbar teilhaben. Sie sind die unerschütterlichen Hauptdarsteller dieses leisen Buches. Auch wenn sich im Tal die Welt verändert, der Wildbach bezwungen wird und Straßen die Landschaft zerteilen, die Berge thronen weiter über dem Tal. Die Protagonisten sind aus unterschiedlichen Gründen mit ihnen verbunden. Pietros Vater scheint besessen davon zu sein, alle Berge zu bezwingen. Rücksichtslos sich selbst und seinem Sohn gegenüber, rastlos, bis der Gipfel erreicht ist.

" 'Von hier sieht alles so klein aus, nicht wahr?', sagte er, ohne dass ich das nachvollziehen konnte. Ich verstand nicht, wie er dieses majestätische Panorama klein finden konnte. Oder kamen ihm andere dinge klein vor? Dinge, die ihm wieder einfielen, sobald er hier oben war?
Bruno, der sein Tal nie verlassen würde, kann sich keinen anderen Ort vorstellen. Ihn zieht es in die Abgeschiedenheit einer Almhütte. Auch hier wird nichts beschönigt, denn hier oben ist die Natur unerbittlich und gibt den Lebensrhythmus im Lauf der Jahreszeiten vor. Die Schlichtheit und Wärme, die Bruno ausstrahlt, ist dem Autor besonders gelungen. Man muss diesen scheinbar mit sich völlig im Einklang lebenden Bruno einfach mögen.

Der Erzähler, Pietro, dagegen, scheint rastlos durchs Leben zu ziehen, bis er nach Nepal gelangt und dort im Schatten der mächtigsten Gipfel zu sich selbst findet.

20 Jahre dauert es, bis die Jugendfreunde sich wieder begegnen. Zusammen bauen sie eine zerfallene Berghütte auf und mit jedem Balken, den sie setzen, erneuern sie auch ihre Freundschaft. Trotz aller Gegensätze verbindet die beiden Männer ein tiefes Gefühl, das ohne Worte auskommt.

Mir hat dieses Buch sehr gefallen, weil ich auch immer wieder dem Zauber der Bergriesen verfalle. Diese literarische Bergwanderung überzeugt besonders durch ihre leise unaufdringliche Schreibweise. Echte Freundschaft überdauert die Zeit und bleibt bestehen, das zeigt sich besonders am Ende des Weges.