Freitag, 29. April 2016

Und sie werden nicht vergessen sein von Carmen Lobato




    Erscheinungsdatum: 01.03.2016
    Verlag: Knaur Taschenbuch
    ISBN: 9783426518205
    Flexibler Einband: 761 Seiten

    Meine Bewertung: 5 von 5 Punkten 

Amarna und Arman Artsruni haben 1938 in London eine neue Heimat gefunden. Die Archäologin und den Bildhauer verbindet eine tiefe, aber aufreibende Liebe, denn Arman hat ein furchtbares Schicksal erlitten. Die gesamte Familie des Armeniers wurde 1915 durch den Genozid ermordet. Als der Krieg ausbricht, meldet sich Arman freiwillig, um ein weiteres Volk vor dem Völkermord zu retten. Zur gleichen Zeit wird Eva in Berlin aus ihrem Leben gerissen. Ihre Kunst wird als entartet abgestempelt, der Vater ihrer Tochter wendet sich zum Wohl seiner Schauspielkarriere von ihr ab und sie wird als Jüdin verhaftet. Das Schicksal ihrer Tochter Chaja scheint besiegelt zu sein, doch ein Weg führt noch aus Berlin heraus.


Carmen Lobato hat einen einfach unbeschreiblich echten, unverfälschten und authentisch wirkenden Roman geschrieben. Das Gefühl der Autorin für dieses Thema wurde so gut umgesetzt, dass es schwer ist, die richtigen Worte zu finden, was einem beim Lesen widerfährt. Man vergisst, dass es sich um fiktive Personen handelt, wird so sehr in die Geschichte hineingezogen, dass man am liebsten die 760 Seiten am Stück lesen möchte. Gleichzeitig wollte ich immer mehr über das Thema wissen. Ich habe mir die beschriebenen Orte herausgesucht, fand Straßen und Personen, die tatsächlich existierten und war erschüttert über die Gewissheit, dass vieles noch viel grausamer war, als beschrieben.

Die Charaktere muss man einfach lieben. Gerade ihre Schwächen, Ecken und Kanten lassen sie so authentisch wirken. Ich würde am liebsten alle Personen aufzählen, weil es keinen Unterschied macht, ob eine Person nur kurz erwähnt wird oder als Hauptprotagonist die Seiten füllt. Alle scheinen für kurze Zeit lebendig zu werden, überzeugen durch emotionale Nähe.


"Dort, wo du mich findest, kennt mich kein Mensch, und wenn es hundertmal mit anderen leichter wäre."
Mein heimlicher Star ist aber der alte zerbrechliche Ziehvater von Arman Artsruni. Bülent wird so wundervoll sanft und einfühlsam in die Geschichte verwoben, dass man gar nicht anders kann, als ihn zu lieben. Eine besondere Szene hat mich sehr bewegt und Tränen fließen lassen.

Zur Handlung möchte ich gar nicht viel sagen. Es gab so viele Momente, in denen ich innehalten musste, sprachlos und traurig war. Man fühlt einfach den Schmerz glaubhaft und nah - unbeschreiblich. Jeder für sich allein wäre wohl verloren gewesen in dieser furchtbaren Zeit. Die Gemeinschaft und das Vertrauen anderen gegenüber, sich gegenseitig Hoffnung zu geben, wird beeindruckend beschrieben.

"Das ist die Krux mit uns Menschen, wir lernen nur über die Geschichte, nicht aus ihr."
Besonders bewegt hat mich das Thema über die jüdischen Kindertransporte (Refugee Children Movement). Kinder, die getrennt von ihren Eltern zu Pflegefamilien oder in Lager kamen, die Sprache und auch den Umstand ihrer Ausreise nicht kannten. Durch Chaja wird einem bewusst, wie es all diesen tausenden von Kindern ergangen sein muss.

Dieser Roman sagt durch den Titel schon alles aus: "Sie werden nicht vergessen sein".
Für mich ein absolutes Lese- und Gefühlshighlight. 


Danke Carmen Lobato

mehr zum Thema von der Autorin: https://charlotte-lyne.com/

 

Dienstag, 26. April 2016

Adam, wo bist du? Eva, was tust du? von Susanne Pointner

http://www.kremayr-scheriau.at/bucher-e-books/adam-wo-bist-du-eva-was-tust-du--818

    Erscheinungsdatum: 01.03.2016
    Verlag: Orac
    ISBN: 9783701505852
    Fester Einband: 188 Seiten

    Meine Bewertung: 3 von 5 Punkten 

Paarbeziehungen sind immer wieder Thema in Ratgebern, Sach- und Fachbüchern. Der Buchumschlag verspricht einen Wegweiser für Paare aus dem selbst gezimmerten Gefängnis. Doch schon nach den ersten Seiten wird klar: Hier liegt eher ein Sachbuch vor.


Die Psychotherapeutin Susanne Pointer versucht anhand von Beispielen aus Märchen, Filmen und Mythen Beispiele für die Problematik des Zusammenlebens aufzuzeigen. Die Identifikation mit fiktiven Personen fällt doch schwer. Besser kann man sich in ein beispielhaftes Paar hineinversetzen, dass alltägliche Situationen zu meistern versucht. Der angekündigte Wegweiser ist aber auch hier nur schemenhaft angedeutet.

Viele Sätze erschließen sich dem Leser nicht sofort. Ich musste einige Passagen mehrfach lesen, um deren Inhalt zu verstehen.



"Im Paarsetting brauchen verstrickte Personen besonders viel Stützung und Aufklärung bzw. es müssen Defizite in der Ich-Struktur bei den Beteiligten einzeln, aber in Kooperation mit dem/der anwesenden Partner/Partnerin bearbeitet werden".
Eine Bewertung fällt mir schwer, da ich von einem anderen Inhalt ausgegangen bin.

Für mich war dies ein informatives Sachbuch über Paarbeziehungen und deren Konflikte. Den von mir erwarteten Ratgeber mit einfachen und anschaulichen Beispielen, mit Tipps aus dem Gefühlswirrwar heraus, konnte ich leider nicht finden.

Samstag, 23. April 2016

Schlachttag von Tommie Goerz

http://www.arsvivendi.com/Buch/Krimi/9783869135823-Schlachttag
    Erscheinungsdatum: 01.03.2016
    Verlag: ars vivendi
    ISBN: 9783869135823
    Flexibler Einband: 424 Seiten

    Meine Bewertung: 4,5 von 5 Punkten 

Ein Wanderer macht in der Fränkischen Schweiz eine furchtbare Entdeckung. Mitten im Wald liegt eine männliche, fast unkenntlich zugerichtete Leiche. Doch nach Verständigen der Polizei, ist der Körper verschwunden. Kommissar Friedo Behütuns ermittelt nach Bauchgefühl und kommt einem über 20 Jahre zurückliegenden Vermisstenfall auf die Spur. Die fränkische Redseligkeit endet abrupt, sobald die Sprache auf die vermisste Person gebracht wird. Wenig später tauchen Teile einer Frauenleiche in einem Waldstück auf. Das Ermittlungsteam steht vor einem Rätsel, bis Behütuns während eines Schlachttages auf einem Bauernhof aufschlussreiche Informationen erhält.


Tommie Goerz hat mit diesem sechsten Fall des Nürnberger Ermittlers Friedo Behütuns einen besonders feinfühligen und ehrlichen Krimi geschrieben. Auch wenn man die vorherigen Bände nicht gelesen hat, wird man schnell warm mit dem ungewöhnlichen Kommissar. Das Cover einer deftigen Schlachteplatte weist schon auf die besondere Thematik hin. Rund um einen Schlachttag auf einem fränkischen Bauernhof wird die eigentliche Handlung aufgebaut. Für zartbesaitete Leser und Vegetarier dürfte das Lesen eine Herausforderung sein, die sich aber auf jeden Fall lohnt. Es gibt viel Wissenswertes über den Ablauf einer Schlachtung mit all seinen unangenehmen und appetitlichen Seiten. Die wenigsten Fleischkonsumierer werden noch wissen, wie eigentlich das Schnitzel auf den Teller kommt:
...Kein Schwein geht freiwillig in den Tod...,
wie der Metzger nach der Schlachtung es treffend formuliert.

Mehr als die Schlachtung hat mich aber Friedo Behütuns Geschichte gefangen genommen. Ein Schicksalsschlag trifft ihn unvorbereitet und mit voller Wucht und zeigt eine ehrliche Trauer, die sicher keinen Leser unberührt lässt. Der Autor versteht es mit viel Feingefühl und sprachlicher Dichte ein unglaublich spürbares Gefühl zu vermitteln. Das Team des Kommissars reagiert beeindruckend empathisch und hilft Behütuns einen Weg zurück in den Alltag zu finden. Nicht zuletzt durch die Unterstützung einer kleinen Haustierratte, die manch einer Nebenfigur die Show stiehlt.

Fast vergisst man, dass es sich ja eigentlich um einen Krimi handelt. Die Spurensuche und das Zusammenführen verschiedener Fälle gestaltet sich schwierig und so ist man ganz auf die Unterstützung von Zeugen angewiesen. Besonders gefallen haben mir die Wirtshausszenen, in denen Behütuns ganz unspektakulär, dafür aber offen und glaubhaft in fränkischer Mundart Informationen sammelt. Als Nichtfranke hatte ich meine Probleme, längere Passagen auf Anhieb zu verstehen. Der Tipp des Autors Dialektpassagen langsam und laut zu lesen, hat tatsächlich geholfen.

Mit viel fränkischem Lokalkolorit, Dialekt und echten Charakteren wird ein spannendes Szenario inszeniert, das durch spitzfindigen Humor, aktuelle Thematik und Tiefe beeindruckt. Der Gedankensprung von tiefster Provinz ins politische Weltgeschehen gelingt spielend und lässt viel Raum für eigene Gedanken.

Mich hat auch dieser Krimi wieder voll begeistert und als Behütuns-Fan hoffe ich natürlich auf einen siebten Fall.

Hier geht es zur Autorenseite: http://www.tommie-goerz.de/

 


Freitag, 22. April 2016

Im Schatten der Lombardis von Berit Paton Reid




    Erscheinungsdatum: 08.10.2015
    Verlag: Bastei Lübbe
    ISBN: 9783404172665
    Flexibler Einband: 784 Seiten

    Meine Bewertung: 3,5 von 5 Punkten 

Über Generationen hinweg hat die Genfer Privatbank Lombardi ihren guten Ruf aufgebaut. Durch eine gewagte Spekulation bringt Pascal Lombardi das Familienunternehmen in Gefahr. Eine Investmentbank fordert über einen Margin call 1 Milliarde Dollar zurück und der drohende Ruin scheint nicht mehr abwendbar. Ausgerechnet in dieser brisanten Situation, in der alle Beteiligten an einem Strang ziehen sollten, bricht die Familie Lombardi auseinander. Pascal verschwindet spurlos, der Geschäftsführer der Bank ist tot und das Familienoberhaupt schockiert alle mit einem jahrzehntelang gehütetem Geheimnis.


Berit Paton Reid hat sich mit ihrem Debütroman an ein schwieriges Thema gewagt. Der als Thriller angekündigte Roman hat für mich eher die Struktur eines Wirtschaftskrimis. Die Welt der Privatbankiers wird hier sehr detailliert und gut recherchiert transportiert. Leider ist der Einstieg für Bank-Laien erst einmal recht schwer. Viele Begriffe und Abkürzungen wie Margin call und MBS (mortgage-backed security) bleiben auf den ersten Seiten unerklärt. Ein angefügtes Fremdwörterverzeichnis wäre hilfreich gewesen. Der Schwerpunkt liegt anfangs auf den Personen, die detailliert beschrieben werden. Dabei ist das gewählte Stilmittel, Personen über sich selbst berichten zu lassen, manchmal etwas holprig, hilft dem Leser aber, Personenbeziehungen aufzubauen.

Wer die ersten Seiten erfolgreich gemeistert hat, findet sich in einer Geschichte voller Intrigen, Machtspiele, Gier und Hass wieder, dem Tradition, Pflichtbewusstsein und Familienzusammenhalt gegenüberstehen. Durch den Prolog ist der Bösewicht der Geschichte leider schon offensichtlich enttarnt. Die Zusammenhänge, warum Joel Silverstein der Familie Lombardi schaden will, wird aber erst Puzzlestein für Puzzlestein am Ende der Story gelüftet. Man sieht hinter die Kulissen der Reichen und Mächtigen. Wie funktioniert über Generationen hinweg ein Bankunternehmen, das von einer Familie geführt wird. Welche Abhängigkeiten und Verpflichtungen entstehen. Anhand der Familie Lombardi werden Höhen und Tiefen sehr deutlich. Gekonnt wird der immer stärkere asiatische Einfluss dargestellt.



"Wir denken in Generationen und nicht in Quartalen!"
Die Handlungsorte reichen von Genf, Hongkong, Dubai nach New York und zeigen die schillernde Welt der unbegrenzten Möglichkeiten. Spannung wird durch den drohenden Ruin der Bank und die kurze Zeitspanne der Problemlösung aufgebaut. Unterschiedliche Charaktere und deren Herangehensweise an die brenzlige Situation zeigen immer neue Blickwinkel auf das Geschehen. Besonders die Frauen im Roman haben wichtige Schlüsselszenen und zeigen den toughen Bankern durch geschicktes Taktieren, wie ausweglose Situationen gelöst werden können.

Der Roman enthält alle wichtigen Eckpunkte für eine spannende Unterhaltung, über die Länge konnte aber kein Spannungsbogen gehalten werden. Mir fehlen lebendige Charaktere und Emotionen. Die Dialoge wirken wie am Reißbrett entworfen. Häufige Wiederholungen von bereits bekannten Sachverhalten sind überflüssig und beeinträchtigen den Lesegenuss.

Den angekündigten Thriller konnte ich nicht entdecken, dafür aber einen spannenden Wirtschaftskrimi mit überraschendem Geheimnis.

 


Donnerstag, 7. April 2016

Vom Ende der Einsamkeit von Benedict Wells

 http://www.diogenes.de/leser/neuheiten/hardcover/alle/9783257069587/buch

    Erscheinungsdatum: 24.02.2016
    Verlag: Diogenes
    ISBN: 978257862850
    Flexibler Einband: 355 Seiten

    Meine Bewertung: 5 von 5 Punkten 
Jules Moreau ist 11 Jahre alt, als seine Eltern tödlich verunglücken. Zusammen mit seinen beiden Geschwistern lebt er zukünftig in einem Internat, seiner Einsamkeit allein überlassen. Jules Lebensgeschichte zeigt, wie er versucht, das Schicksal zu überwinden und sich im Leben zurechtzufinden. Die Freundschaft mit Alva gibt ihm dabei Halt und zieht ihn gleichzeitig in ein Gefühlschaos.


Benedict Wells zeichnet gefühlvoll und unaufdringlich die Lebensgeschichte von Jules über einen Zeitraum von 35 Jahren. Jules ist der Erzähler seiner eigenen Geschichte. Anhand von Jahreszahlen, die den Kapiteln vorangestellt werden, kann man sich gut orientieren. Zeitsprünge im Buch lassen dem Leser Zeit, eigene Gedanken zur Handlung zu entwickeln. Metaphern, wie ein immer wiederkehrender Baum mit abgesägten Ästen, sind ein besonderes Stilmittel. Man spürt beim Lesen, dass es sich um echte Gefühle handelt und möchte sich ganze Passagen herausstreichen, weil sie so wirklich sind.

"Es war, als müsste ich für jdes Wort einen Spaten in einen gefrorenen Acker rammen."
Der Zusammenhalt der Geschwister ist ganz deutlich zu spüren. Obwohl Liz, Marty und Jules im gleichen Internat leben, haben sie keinerlei Berührungspunkte, leben in unterschiedlichen Welten, gehen getrennte Wege. Ihr Schicksal verbindet sie trotzdem über all die Jahre und auch im Erwachsenenalter treffen sie sich immer wieder, um einander beizustehen.

Ein zentrales Thema ist die Beziehung zwischen Jules und Alva. Eine leise Jugendfreundschaft, die geprägt durch Ängste und unausgesprochene Worte, sich nicht entfalten kann. Jules Verlustängste werden sehr deutlich herausgearbeitet. Er hat nie den Mut gehabt, sie für sich zu gewinnen, sondern nur Angst sie zu verlieren.

"Einmal musste sie beim Lesen lachen, und da fühlte ich mich wie auf einer nächtlichen Straße, auf der schlagartig alle Laternen angegangen waren."

"Ihre Bemerkung versank in mir wie ein Stein, den man in einen See fallen ließ".
Schicksalschläge, Abschiede, Begegnungen und bewegende Szenen, die teilweise fast schon poetisch geschildert werden, skizzieren das Leben von Jules.

Diese Geschichte benötigt Zeit, um Gedanken reflektieren zu können, begeistert mit einer wundervollen Stimmung und authentischen Schilderungen. Obwohl die Melancholie überwiegt, ist es ein sehr lebensbejahender Roman, der mich begeistert hat.