Donnerstag, 23. Dezember 2021

Liebe in Zeiten des Hasses von Florian Illies


Die Dreißigerjahre sind gerade in. Fernsehserien, Bücher, Biografien und Sachbücher findet man überall. Warum fühlen wir uns so von diesen vergangenen wilden Zeiten angezogen? Florian Illies hat ein spannendes und vor Lebendigkeit strotzendes Sachbuch geschrieben, das meine Neugier geweckt hat.   


Durch die in Präsens geschriebenen kurzen Detailbeschreibungen fühlt man sich direkt ins Zeitgeschehen hineinversetzt. Man schaut Bertholt Brecht, F. Scott Fitzgerald oder Erich Kästner direkt über die Schulter. Marlene Diedrich bricht gerade jetzt wieder einmal einem Mann das Herz. 

Die Begeisterung, die der Autor den agierenden Personen schenkt, ist deutlich spürbar. Jedes kleinste Detail wurde recherchiert. Sogar der Wetterbericht, wie zum Beispiel im April 1932 in Porto Ronco ist nicht zufällig beschrieben, sondern authentisch wiedergegeben. So kann man sich vorstellen, wie Erich Maria Remarque unter einem klaren Himmel in der Bar steht und den Tag genießt.

Bei der berühmten Personendichte hatte ich zunächst die Befürchtung, die Zusammenhänge aus den Augen zu verlieren. Zeitlich klar strukturiert werden die Jahre 1929 bis 1939 in drei Abschnitte "Davor", "1933" und "Danach" aufgeteilt. Innerhalb der Abschnitte springt der Autor von Person zu Person. Kaum hat man sich orientiert, springt man zu einem völlig anderen Geschehen, um mehrere Seiten später, wieder an den Ort des Geschehens zurückzukehren.

Dem Autor ist es aber hervorragend gelungen, trotz all der kurzen Passagen und unterschiedlichen Personen- und Ortsangaben dem Leser ein gelungenes Lesevergnügen zu bescheren. Humorvolle, skurrile und mitunter bizarre Details, die man tatsächlich so noch nicht gelesen hat, machen einfach Spaß. Überrascht hat mich auch, wie viele starke Frauen in diesen Jahren aktiv waren. 
 "Der Mann ist für die weiblichen Heldinnen der weiblichen Autorinnen meist nicht mehr als eine Sättigungsbeilage."

Die Liebe in so vielfältiger Form und Ausführung steht im Vordergrund. Manches war mir zu intim oder kam mir voyeuristisch vor. Da wird jeder sein eigenes Maß ansetzen müssen.

 "Die Liebe wird, wie jede Utopie, immer größer, je länger man auf sie wartet."

Am Rande spürt man den Tanz auf dem Vulkan, die Last, die nach einem überstandenen Weltkrieg auf allen lastet. Die Ungewissheit, wie es weitergehen soll und die Lust, das Leben zu genießen, solange man kann.

Einige Passagen haben mich auch schockiert oder fassungslos innehalten lassen. Besonders unfassbar habe ich es empfunden, über Anais Nin und ihre freiwillige Abtreibung im sechsten Monat zu lesen. Solche Momente, wie auch die Schilderung aus Leni Riefenstahls Leben haben mich Pausen einlegen lassen. Dies ist kein Buch, das schnell gelesen werden will. Vieles habe ich auch zweimal gelesen.

Vom kompletten Buch bin ich mehr als begeistert und werde es sicher noch mehrmals zur Hand nehmen, um in eine Zeit einzutauchen, die so unfassbar lebendig, außergewöhnlich und abenteuerlich gewesen ist. Pure, lebendige Kulturgeschichte.


Von mir gibt es 4 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 27.10.2021
Verlag:  S. FISCHER Verlag
ISBN: 9783103970739
Fester Umschlag
Seiten: 432





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen