Erscheinungsdatum: 22.02.2020 Verlag: Tropen Verlag ISBN: 9783608504682 Fester Einband: 452 Seiten Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten | |
Mitten im Nordirland-Konflikt findet ein bekannter, allseits geschätzter Untergrundkämpfer Interesse an einer 18-jährigen jungen Frau. Der "Milchmann" verfolgt sie, lauert ihr auf und droht unterschwellig mit Folgen, sollte sie ihren Freund weiter treffen. Über allem brodelt die Gerüchteküche, die ihr schon jetzt eine Affäre mit ihm nachsagt, sie quält und ihr Angst macht. Denn hier in diesem Stadtteil hat jeder seine Rolle, verlässt er sie, wird es gefährlich. |
Dieser Roman fordert den Leser, gibt ihm Rätsel auf und lässt keine Abschweifungen zu. Die Autorin Anna Burns Anna Burns verzichtet auf Absätze, Lese- und Atempausen. Wer der 18-jährigen Ich-Erzählerin in ihrem Rückblick im Roman folgen möchte, muss sich darauf einlassen. Der einleitende Satz bereitet schonungslos den Aufbau der Erzählung vor. Denn hier geht es zwar um einen deutlich älteren Stalker, der Interesse an einer jungen Frau hat, doch findet das Ganze auf einem Pulverfass voller Gewalt und Reglementierungen statt. Die ausschweifende Gedankenwelt der Erzählerin lässt den Leser häufig an seine Grenzen kommen. Gerade war man noch mitten in einer Handlung und plötzlich zeilenweise Abhandlungen über einen Himmel und dessen Färbung, bis man in dieser Ringkomposition zurück zur eigentlichen Handlung gelangt. Es strengt ohne Frage an, diesen Monologen zu folgen, aber der geniale Schreibstil entschädigt für einige doch sehr lang ausgefallene Passagen.
"Sie meinte Depressionen, denn die hatte Pa gehabt: gewaltige, schwere, drängende, satte, ansteckende, Schwarze-Wolken-Krähen-Raben-Dohlen-haufenweise-Särge-metertiefe-Katakomben-zu-ihren-Gräbern-kriechende-Skelette-klappernde-Knochen-Depressionen."
"Er wurde von der Person, die er liebte, so sehr zurückgeliebt, dass er das verwundbare Geben und Nehmen nicht mehr aushielt und die Beziehung beendete, um es hinter sich zu bringen, ehe er sie verlor oder sie ihm entrissen wurde, vom Schicksal oder von einem anderen. ... Also versuchte Bruder, sich seiner größten Angst zu entledigen, dem hypothetischen Verlust dessen, was ihm am allerwichtigsten war, in dem er sich stattdessen mit einer Stellvertreterin begnügte."
So versucht auch die Ich-Erzählerin sich aus allem herauszuhalten, nicht aufzufallen, mitzuschwimmen. Aber gerade ihr Schweigen zur vermeintlichen Affäre, ihre ungewöhnliche Art im Gehen zu Lesen und ihre Distanz zu anderen, lassen sie auffällig erscheinen.
Ich habe diesen Roman als Mahnung verstanden. Was geschieht mit uns, wenn wir in einem Mikrokosmos voller Gewalt und Tod leben. Wo an jeder Ecke Gefahr droht, jeder ein potenzieller Feind sein könnte. Dieser Roman rüttelt auf und fesselt durch seinen unnachahmlichen Schreibstil. Wer sich der Herausforderung stellt und wohl auch durch einige Seiten quält, wird am Ende davon gefesselt sein.
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