Mittwoch, 24. Mai 2023

Der Morgen von Marc Raabe


Mitten in Berlin während der morgendlichen Rushhour wird in einem Kleinlaster vor der Siegessäule eine tote Frau gefunden. Die Ministergattin wurde mit roter Schrift gezeichnet. Auf ihrem Körper prangt die Adresse des Bundeskanzlers. Grund genug, den nicht im Dienst befindlichen Ermittler Artur Mayer zu reaktivieren. Allerdings wird ihm ausgerechnet die Nichte des Polizeipräsidenten als Aufpasserin zur Seite gestellt: Die Kommissar-Anwärterin Nele Tschaikowski weicht ihm nicht von der Seite. Als ein Video viral geht, ist die Presse nicht mehr zu halten und von einer "geräuschlosen" Ermittlung ist das Duo weit entfernt.  

Marc Raabe hat mit "Der Morgen" den Auftakt zu einer neuen Krimi-Serie gelegt. Zwei Handlungsstränge, die anfänglich so gar nicht zueinander passen wollen, nähern sich Kapitel für Kapitel immer ein wenig mehr an. Die erste Erzählebene ist ein Rückblick auf eine Teenager-Clique in Berlin-Heiligensee. 

Ein unsterblich verliebter 12-Jähriger möchte die Tochter der Kioskbesitzerin beeindrucken, doch er trifft sie immer nur zusammen mit ihrer Clique an. Die fünf Jugendlichen sind älter und cooler als er. Ihre wahre Identität versteht der Autor zu verschleiern, indem er ihnen Spitznamen gibt. Kappe, Brille, Zippo, Ausschnitt und Ellie wollen anfangs nichts von dem Jungen wissen, bis er sie durch eine Aktion beeindruckt. Als "Boxer" wird er in die Runde aufgenommen, doch unglückliche Verkettungen lassen etwas Schreckliches geschehen. Boxer ist wieder allein.  

Als Sprecher verleiht Peter Lontzek der Story einen besonderen Stil. Mal sinkt die Stimme zum Flüstern herab, dann werden schnelle Sätze zum Spannungsaufbau eingesetzt. Zusätzlich erhält jeder Protagonist eine eigene Stimmfarbe, was bei den vielen Personen ungemein hilfreich beim Zuhören und Folgen ist. 

Die zweite Erzählebene spielt in Berlin. Man ahnt, dass die damaligen Jugendlichen in Bezug zu dieser Handlung stehen. Durch die fehlenden Namen kann man aber nur rätseln und genau das macht den Reiz der Erzählung aus. Immer mehr Protagonisten erscheinen und geben Rätsel auf. Wie ist der Bundeskanzler in den Mord verwickelt? Warum bittet er ausdrücklich darum, dass Artur Mayer den Fall übernimmt? Wer ist in der Lage, Videos aus dem Privathaushalt des Kanzlers zu veröffentlichen? 

Die beiden Ermittler Art und Nele tragen einen Großteil dazu bei, dass man sich in die Handlung hineinversetzen kann. Art, als kantiger Einzelgänger mit Herz für Sozialschwache, bleibt trotz der brisanten politischen Situation seiner Geradlinigkeit treu. Man nimmt ihm seine versteckte Verletztheit ab und traut seinem Instinkt. Dies spürt auch seine neue Partnerin Nele, die als Kommissar-Anwärterin eher den Schulweg gehen möchte und sich erst nach und nach auf die unkonventionelle Art ihres Kollegen einlässt. Gemeinsam bilden sie ein außergewöhnliches, aber ermittlungsstarkes Duo. 

Interessant sind auch die fein eingewobenen Spitzen auf klassisches Schubladendenken. Hier geht es ein ums andere Mal um Grauzonen, die Verbrechen aus einer anderen Sicht erscheinen lassen. Wann ist man Täter und wann Opfer. Als Sahnehäubchen werden dann noch mediale Täuschungen eingesetzt, die zeigen, dass es Ermittlern immer schwerer gemacht wird, Reales von bearbeiteten Materialien zu unterscheiden. 

Am Ende war der Spannungsbogen vielleicht eine Spur zu sehr auf künstliche Dramatik ausgelegt, denn vor lauter Action wagt man kaum noch, das Hörbuch zu unterbrechen. Dennoch ist der Einstieg in die neue Serie überaus gut gelungen. Ich möchte mehr über Art und Nele lesen/hören.


Von mir gibt es 4,5 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen:  30.03.2023
Verlag:  Hörbuch Hamburg
ISBN: 9783957132918
MP3-CD
Hördauer: 875 Minuten





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