Dienstag, 30. Mai 2023

Die Schrift von Elias Haller

Ein Serientäter treibt in Dresden sein Unwesen. Seine Opfer sind ausschließlich Prostituierte, die er furchtbar leiden lässt, um sein grausames Spiel mit der Polizei zu spielen. Geheimnisvolle Tätowierungen zeichnen die Frauen und selbst der erfahrene Kryptologe Arne Stiller steht vor einem Rätsel.  

Elias Haller ist kein Freund von leisen Tönen. Zartbesaitete Lesende sollten nicht zu diesem Thriller greifen. Der Schreibstil behält sich dennoch eine Leichtigkeit in Sprache und Handlung. Der Einstieg ist rasant und schon auf den ersten Seiten zeigt der monströse Psychopath das ganze Ausmaß seiner Grausamkeit. Neugier und Abscheu beim Lesen halten sich die Waage. 

Anders als bei den meisten Fällen bleiben die Opfer am Leben und dies scheint die größere Strafe als der Tod. Verstümmelt und gebrochen leiden die Frauen mit dem Wissen, dass der Täter schon sein nächstes Opfer ins Visier genommen hat. Der Täter ist sich seiner so sicher, dass er auf perfide Art sein Spiel mit der Polizei treibt. Seine Hinweise und Informationen streut er auf vielfältige Weise und erst nach und nach ergeben die Puzzleteile ein Bild.  

Kriminaloberkommissar und Kryptologe Arne Stiller steht unter massivem Druck, denn nur er ist in der Lage, die geheimen Botschaften des Täters zu entziffern. Allerdings benötigt er für die verschiedenen Vigenères Verschlüsselungen ein Schlüsselwort. An diesen Stellen rätselt man zusammen mit Stiller, welche Botschaft in den Nachrichten des Täters versteckt sein mag. Ist es der Vers in einer Todesanzeige oder ein Hinweis auf einem Vermeer Gemälde? Es sind die Momente, in denen man Luft holen kann und die schrecklichen Bilder wieder aus dem Kopf verliert. 

Der Autor versteht es, falsche Spuren zu legen oder gezielt Personen in den Fokus zu rücken, um sie verdächtig erscheinen zu lassen. Nichts deutet am Ende auf die Wendung in der Geschichte hin. Auch wenn der Spannungsbogen nicht dauerhaft hochgehalten werden kann und einige Nebenhandlungen zu viel Raum gewinnen, ist die Umsetzung spannend und glaubhaft gelungen. 

Besonders die Darstellung des Täters, dessen Lebensgeschichte immer wieder in Rückblicken geschildert wird, lässt Gänsehautmomente entstehen. Die Grausamkeit, wie Menschen miteinander umgehen und was dadurch für Abgründe entstehen, wird deutlich herausgearbeitet. 

Die Charaktere werden ein wenig überzeichnet beschrieben und wirkten auf mich dadurch etwas unglaubwürdig. Bernhard Hoheneck ist eine Schlüsselfigur, die ihrer Position als Kriminalhauptkommissar nicht so richtig gerecht werden will. Seine Verwirrtheit und sein Fehlverhalten wirken unprofessionell, auch wenn er allen Grund hat, sich merkwürdig zu verhalten. 
Jeder Hauptcharakter scheint neuerdings eine persönliche Macke zu benötigen. Arne Stillers Spleen ist eine Privatreligion, die ihm in ausweglosen Situationen den Weg zeigt. Dank Armakunis Weisheiten findet er seine Gelassenheit und Ruhe, um die richtigen Schlüsse ziehen zu können. 

"Arne selbst arbeitete hart an sich, um irgendwann wie sein Vorbild Armakuni als geläuterter Ninja in den Palast der Mysterien einziehen zu dürfen."

"Die Schrift" ist der fünfte Band der Arne-Stiller-Reihe von Elias Haller, den man sehr gut ohne Vorkenntnisse lesen kann. Dieser fesselnde Thriller verspricht eine rasant grausame Reise in die Untiefen menschlicher Abartigkeit. Am Ende fehlte mir eine Erklärung, die leider nicht gegeben wurde. 

Von mir gibt es 3,5 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen:  16.05.2023
Verlag:  Edition M
ISBN: 9782496713206
Flexibler Umschlag
Seiten: 388




Mittwoch, 24. Mai 2023

Der Morgen von Marc Raabe


Mitten in Berlin während der morgendlichen Rushhour wird in einem Kleinlaster vor der Siegessäule eine tote Frau gefunden. Die Ministergattin wurde mit roter Schrift gezeichnet. Auf ihrem Körper prangt die Adresse des Bundeskanzlers. Grund genug, den nicht im Dienst befindlichen Ermittler Artur Mayer zu reaktivieren. Allerdings wird ihm ausgerechnet die Nichte des Polizeipräsidenten als Aufpasserin zur Seite gestellt: Die Kommissar-Anwärterin Nele Tschaikowski weicht ihm nicht von der Seite. Als ein Video viral geht, ist die Presse nicht mehr zu halten und von einer "geräuschlosen" Ermittlung ist das Duo weit entfernt.  

Marc Raabe hat mit "Der Morgen" den Auftakt zu einer neuen Krimi-Serie gelegt. Zwei Handlungsstränge, die anfänglich so gar nicht zueinander passen wollen, nähern sich Kapitel für Kapitel immer ein wenig mehr an. Die erste Erzählebene ist ein Rückblick auf eine Teenager-Clique in Berlin-Heiligensee. 

Ein unsterblich verliebter 12-Jähriger möchte die Tochter der Kioskbesitzerin beeindrucken, doch er trifft sie immer nur zusammen mit ihrer Clique an. Die fünf Jugendlichen sind älter und cooler als er. Ihre wahre Identität versteht der Autor zu verschleiern, indem er ihnen Spitznamen gibt. Kappe, Brille, Zippo, Ausschnitt und Ellie wollen anfangs nichts von dem Jungen wissen, bis er sie durch eine Aktion beeindruckt. Als "Boxer" wird er in die Runde aufgenommen, doch unglückliche Verkettungen lassen etwas Schreckliches geschehen. Boxer ist wieder allein.  

Als Sprecher verleiht Peter Lontzek der Story einen besonderen Stil. Mal sinkt die Stimme zum Flüstern herab, dann werden schnelle Sätze zum Spannungsaufbau eingesetzt. Zusätzlich erhält jeder Protagonist eine eigene Stimmfarbe, was bei den vielen Personen ungemein hilfreich beim Zuhören und Folgen ist. 

Die zweite Erzählebene spielt in Berlin. Man ahnt, dass die damaligen Jugendlichen in Bezug zu dieser Handlung stehen. Durch die fehlenden Namen kann man aber nur rätseln und genau das macht den Reiz der Erzählung aus. Immer mehr Protagonisten erscheinen und geben Rätsel auf. Wie ist der Bundeskanzler in den Mord verwickelt? Warum bittet er ausdrücklich darum, dass Artur Mayer den Fall übernimmt? Wer ist in der Lage, Videos aus dem Privathaushalt des Kanzlers zu veröffentlichen? 

Die beiden Ermittler Art und Nele tragen einen Großteil dazu bei, dass man sich in die Handlung hineinversetzen kann. Art, als kantiger Einzelgänger mit Herz für Sozialschwache, bleibt trotz der brisanten politischen Situation seiner Geradlinigkeit treu. Man nimmt ihm seine versteckte Verletztheit ab und traut seinem Instinkt. Dies spürt auch seine neue Partnerin Nele, die als Kommissar-Anwärterin eher den Schulweg gehen möchte und sich erst nach und nach auf die unkonventionelle Art ihres Kollegen einlässt. Gemeinsam bilden sie ein außergewöhnliches, aber ermittlungsstarkes Duo. 

Interessant sind auch die fein eingewobenen Spitzen auf klassisches Schubladendenken. Hier geht es ein ums andere Mal um Grauzonen, die Verbrechen aus einer anderen Sicht erscheinen lassen. Wann ist man Täter und wann Opfer. Als Sahnehäubchen werden dann noch mediale Täuschungen eingesetzt, die zeigen, dass es Ermittlern immer schwerer gemacht wird, Reales von bearbeiteten Materialien zu unterscheiden. 

Am Ende war der Spannungsbogen vielleicht eine Spur zu sehr auf künstliche Dramatik ausgelegt, denn vor lauter Action wagt man kaum noch, das Hörbuch zu unterbrechen. Dennoch ist der Einstieg in die neue Serie überaus gut gelungen. Ich möchte mehr über Art und Nele lesen/hören.


Von mir gibt es 4,5 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen:  30.03.2023
Verlag:  Hörbuch Hamburg
ISBN: 9783957132918
MP3-CD
Hördauer: 875 Minuten





Dienstag, 16. Mai 2023

Der Halbmörder von Håkan Nesser


Mit Mitte 70 hat Adalbert Hanzon schon fast mit dem Leben abgeschlossen, denn das Leben hält für den alten Mann keine Überraschungen mehr parat. Doch dann glaubt Adalbert Andrea Altmann, die Liebe seines Lebens wiedererkannt zu haben. Selbst nach 43 Jahren merkt er, dass er sich der Liebe nur schwer entziehen kann und beginnt sich auf die Spurensuche zu machen. Die Vergangenheit Revue passieren zu lassen, hilft ihm dabei, längst vergessene Momente aufzuarbeiten und sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.  

Zum Schreibstil braucht man eigentlich nicht mehr viel zu sagen. Håkan Nesser versteht sein Handwerk und die schon fast philosophisch untermalte Handlung, die Bilder, die im Kopf entstehen, der grandiose Humor und die Wahrhaftigkeit seiner Charaktere gleichen die Langsamkeit der Erzählung aus. 

Für einen "Kriminalfall" ist die Handlung sehr unaufgeregt und ereignislos, genauso wie Adalberts Tage als alter Mann. Er hat etwas Tragisches erlebt, das wird recht schnell klar. Der junge Mann wurde verurteilt und musste eine Haftstrafe absitzen. Doch wessen er sich schuldig gemacht hat, erfährt man erst recht spät anhand seiner persönlichen Rückblicke und Aufzeichnungen. Dabei berichtet der Ich-Erzähler sprunghaft und so, wie ihm die Gedanken plötzlich in den Kopf kommen. Man glaubt diesem alten Mann, der seine schicksalhafte Geschichte erzählt und der immer noch Andrea Altmann liebt, obwohl sie nur so wenige Monate miteinander verbringen durften.Adalbert wurde durch seinen Vater, der sich schließlich umbrachte, geprägt. Niemand ist wichtig für die Welt und schon gar nicht Vater und Sohn. Dementsprechend gering ist sein Selbstwertgefühl, bis er Andrea kennenlernt. Ihre zaghafte Liebe entwickelt sich zu einem festen Band zwischen ihnen und nichts könnte sie auseinanderbringen. Wäre da nicht das Heiratsversprechen, das Andrea einem anderen gegeben hat und dass auf keinen Fall gelöst werden kann. Ein unüberlegter Gedanke und ungeplante Ereignisse führen dazu, dass Adalbert Andrea nie wieder sieht, bis zu diesem Tag in der Apotheke, als er nach 43 Jahren eine Frau sieht, die Andrea sein könnte.

Wie ein Phantom taucht immer wieder eine Frau mit einem Schal auf, um dann wieder zu verschwinden. Die Begegnung lässt ihm keine Ruhe und zusammen mit einem kauzigen Nachbarn, den er aus der Haftanstalt kennt, und seiner nervigen Cousine macht er sich auf die Suche. Hier kommt der wundervolle Humor des Autors zur Geltung. Man hat fast filmische Szenen im Kopf, wenn Adalbert und Henry sich angiften und beschimpfen und sich doch dessen bewusst sind, dass sie sonst niemanden haben. Gemeinsam philosophieren und bechern sie um die Wette. 

 "Wenn Henry sich anstrengt, um etwas Gescheites zu sagen, lässt mich das, was aus seinem Mund purzelt, meistens an eine schlecht gebundene Krawatte denken, auf die jemand (Henry höchstselbst natürlich) soeben gekotzt hat. Mehrmals."

Um seine Gedanken zu sammeln und sein Gedächtnis auf Trab zu bringen, fängt Adalbert an, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Die Rückblicke sind emotional und berührend und lassen keinen Zweifel daran, dass sich hier zwei Menschen gefunden haben, die füreinander bestimmt sind. Warum Adalbert und Andrea nicht mutig genug sind, allen Konsequenzen zum Trotz ihren eigenen Weg zu gehen, wird allerdings nicht glaubhaft genug herausgearbeitet. Es wirkt etwas hölzern und inszeniert, wie sich das Geschehene langsam zur Tragödie entwickelte. 

Es dauert ein wenig, bis man mit dieser Geschichte warm wird, dann nimmt einen der Schreibstil Nessers gefangen und man hofft für Adalbert, dass er am Ende seiner Tage noch ein wenig Glück finden darf.  

Von mir gibt es 3,5 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen:   09.11.2022
Verlag:  btb Verlag
ISBN: 9783442758722
Fester Umschlag
Seiten: 288





Freitag, 12. Mai 2023

Die Wahrheit von Mattias Edvardsson


Als Witwer kümmert sich Bill um seine kleine Tochter. Finanziell steht es nicht zum Besten, sodass er Jurastudentin Karla als Untermieterin in seiner Wohnung in Lund (Schweden) aufnimmt. Die junge Studentin verdient sich ihr Geld als Reinigungskraft im Haus von Steven und Regina Rytter. Die Arbeit in diesem großen düsteren Haus fällt Karla nicht leicht, denn Regina Rytter leidet an einer rätselhaften Krankheit und Ihr Mann verhält sich merkwürdig. Steven Rytter hat über eine Dating-App Jennica kennengelernt und tritt als trauernder Witwer auf, obwohl seine Frau am Leben ist. Es kommt zu einer dramatischen Wendung in diesem Spiel aus Lügen und Geheimnissen.   


Mattias Edvardsson hat einen einfachen und dahinfließenden Schreibstil, der die Leserschaft schnell über die Seiten fliegen lässt. Als Einstieg wird ein Polizeibericht vorangestellt, der den Tod von Steven und Regina festhält. Von Anfang an steht fest, dass das Ehepaar ums Leben kam, nur die Umstände sind unbekannt. Anhand von Zeugenbefragungen und Zeitungsartikeln, die zwischen den einzelnen Kapiteln eingestreut werden, erfährt man nach und nach mehr über die einzelnen Charaktere. Diese berichten rückblickend kapitelweise aus ihrer Sicht, wie es zu diesem schicksalhaften Tag kommen konnte. 

Sympathieträger sucht man in diesem Buch vergebens. Wenn überhaupt, schafft es Sally, die kleine Tochter von Bill, ein wenig Wärme zu verbreiten. Alle anderen Protagonisten drehen sich um sich selbst und ihre Probleme. Geld- und Existenznöte, falsche Moralvorstellungen und das Ausbleiben von Vernunft stehen im Vordergrund. Dabei werden die persönlichen Nöte durchaus glaubhaft herausgearbeitet. Doch wenn man immer wieder schleifenartig lesen muss, wie Bill keinen Job findet, sich mit dem Tod seiner Frau nicht abfinden kann und das wenig vorhandene Geld in Online-Casinos verliert, wirkt das Thema eher handlungslähmend. 

Auch wenn der Einstieg ins Buch sofort Spannung erzeugt, plätschert der Mittelteil nur oberflächlich dahin. Es passiert nicht wirklich etwas Neues. Die Protagonisten verrichten alltägliche Dinge, Dialoge mit Hauskatzen werden nur Tierfans begeistern und es gibt zu viele Nebenschauplätze, die von der eigentlichen Handlung ablenken. Erst in den letzten Kapiteln wird der Spannungsbogen wieder angehoben. Eine überraschende Charakterwandlung bringt neuen Schwung in die Geschichte und der Showdown birgt einige unerwartete Überraschungen. 

Alles in allem ein kurzweiliger Kriminalfall mit unspektakulärer Handlung, der durch die fehlenden Ermittler es der Leserschaft überlässt, eigene Schlüsse zu ziehen und die Wahrheit zu ergründen. Für mich ein wenig zu oberflächlich und konstruiert gehalten. Für eine schnelle, kurzweilige Lektüre gut geeignet.
 
Von mir gibt es 3,5 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen:  29.03.2023
Verlag:  Limes
ISBN: 9783809027584
Flexibler Umschlag
Seiten: 448