Donnerstag, 25. Februar 2021

Die Bücherfrauen von Romalyn Tilghman

Erscheinungsdatum: 24.02.2021
Verlag:
S. FISCHER
ISBN: 9783103970807
Fester Einband
Seiten:
384
  
Leseprobe









Meine Bewertung: 2 von 5 Punkten 


Inhalt: Ein Tornado wütet in Kansas und macht den kleinen Ort Prairie Hill dem Erdboden gleich. Im Nachbarort New Hope hat man andere Sorgen. Das Kulturzentrum soll verkauft werden, wenn nicht ausreichend Spendengelder in die Kasse kommen. In New Hope begegnen sich zufällig drei völlig unterschiedliche Frauen, die sich selbst verloren haben und durch eine gemeinsame Aktion wieder zu sich selbst finden.

Romalyn Tilghman hat als historische Rahmenhandlung den Bau der Carnegie-Büchereien in Kansas vor über 100 Jahren gewählt. Frauen waren es damals, die sich für den Bau der Büchereien in ihren kleinen Orten eingesetzt haben. Frauen, die bis dahin eigentlich nicht viel selbst entscheiden durften. Dieses Thema wäre es Wert gewesen, detaillierter betrachtet zu werden. 

Leider verliert sich die Autorin in zu vielen Einzelthemen, die dann nicht fortgeführt werden. Drei unterschiedliche Ich-Perspektiven wechseln sich im Roman ab und steuern aufeinander zu. Dabei geht es um die Tornado-Folgen, eine historische Spurensuche, vernachlässigte Kinder, eine Frauenbewegung, Liebesgeschichten und ein altes Familiengeheimnis. Eigentlich genug Material, um daraus eine lebhafte Story zusammenzustellen. Der Schreibstil, der sehr gewöhnungsbedürftig ist und die Schilderung der Charaktere, die sehr blass wirken, lassen aber kein harmonisches Bild entstehen. 

Anfangs dachte ich noch, die Übersetzung wäre evtl. nicht gelungen, aber auch der Originalroman lässt sich holprig lesen: 

 "I stand in front of my house that isn’t. For the twenty-seventh day in a row, I look over a landscape of rubble, in the middle of a war zone that once was a town before there was a tornado. I sift debris through my fingers, hoping for treasure."

Vor allem die schlichten Sätze, die einfach nicht zu erwachsenen Frauen passen wollen, haben mir das Lesen ein wenig vergällt.

 "Sie weinte wie eine Geisteskranke; ihr Gesicht lief ganz lila an, und ihre Lider schwollen zu, so dass ihre Pupillen wie verschrumpelte Erbsen wirkten und nicht wie glänzende grüne Murmeln."

Es mag auch an der amerikanischen Sichtweise liegen, die sehr konservativ und gleichförmig wirkt. Ich konnte mich nicht hineinversetzen. Zu viele Nebenschauplätze wie das Quilten und die Spendenbasare wurden mehrfach und detailliert beschrieben. Die eigentliche historische Geschichte zum Roman verliert sich dagegen. 

Ich hatte einen unterhaltsamen Frauenroman erwartet, der viel über die Historie der Büchereien in Kansas beinhalten würde. Geblieben ist nur ein Bild von nähenden Frauen in einem Kulturzentrum.


Mittwoch, 24. Februar 2021

Essen gut, alles gut von Heike Niemeier

Erscheinungsdatum: 17.12.2020
Verlag:
Kiepenheuer & Witsch
ISBN:
9783462054323
Fester Einband
Seiten:
368
  
Leseprobe









Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 

Inhalt: Tipps um ein eigenes Körpergefühl zu erlangen und sich wohlzufühlen
Gesund leben, Gewicht halten, jung aussehen, fit sein. Jeder von uns hat so seine Baustellen und sucht nach dem persönlichen Ideal. In diesem Ratgeber über Essen und Ernährung finden sich wichtige Aspekte, die Anregungen geben, um diesen Wünschen ein Stück näher zu kommen.

Als Ökotrophologin (Ernährungswissenschaft mit den Schwerpunkten Sporternährung, Essverhalten und Kommunikation) weiß Heike Niemeier wovon sie spricht. Sie überzeugt durch einen leichten Schreibstil, der grundlegende wissenschaftliche Details lesbar aufbereitet. Viele Schautafeln unterstreichen den Inhalt und verdeutlichen die Inhalte. 

Vieles hat man schon gehört, aber selten habe ich so unterschiedliche Themen so kompakt aufbereitet vorgefunden. Anhand von Beispielen schildert die Autorin, wie man mit wenig Veränderungen viel erreichen kann, um ein besseres Körpergefühl zu bekommen. Besonders gut hat mir gefallen, dass darauf hingewiesen hat, dass jeder Körper anders aufgebaut ist. 70 kg sind bei jedem anders verteilt. Ein Tipp kann für jemanden sehr gut funktionieren, für den anderen halt nicht. 

Rezepte und Einkaufstipps runden diesen Ratgeber ab und machen Lust durchzustarten. Ich habe das Buch inzwischen häufig zur Hand genommen, um mich zwischendurch wieder upzudaten. 

Empfehlenswert ist auch die Website https://essenz.hamburg/, auf der man noch weitere Rezepte und Tipps finden kann. 


Donnerstag, 18. Februar 2021

Miss Bensons Reise von Rachel Joyce

Erscheinungsdatum: 30.12.2020
Verlag:
Fischer Krüger
ISBN: 9783810522337
Fester Einband
Seiten:
480
  
Leseprobe



Meine Bewertung:
4,5 von 5 Punkten 

Inhalt: London im Jahr 1950. Ein beinahe verpasster Lebenstraum bahnt sich seinen Weg durch den tristen Alltag von Margery Benson, und ehe sie sich versieht, befindet sie sich auf einem Dampfer, um den goldenen Käfer auf Neukaledonien zu finden. Statt einer erhofften talentierten Expeditionsbegleiterin stürzt die junge Enid Pretty dazu, um Margery bei der Suche zu unterstützen. Zwei völlig unterschiedliche Frauen starten zusammen in ein ungeahnt aufregendes Abenteuer, dass ihren ganzen Mut erfordert und mit einer wundervollen Freundschaft belohnt wird.

Rachel Joyce hat einen zauberhaften Schreibstil, der den charmanten, witzigen und warmherzigen Charakteren einen lebhaften und übersprudelnden Rahmen zum Agieren bietet. Von der ersten bis zur letzten Seite war ich gefesselt von so viel Energie und Leidenschaft, die förmlich auf einen überspringt. 

Margery Benson ist nun wirklich keine Frau, die nach der Beschreibung in Erinnerung bleiben könnte. Eine graue, unförmige Maus, die als ungewollte Lehrerin mit ihren 47 Jahren ein Leben in Einsamkeit fristet. Dann wird man mit ihrer heimlichen Leidenschaft der Welt der Käfer, konfrontiert. Voller Ekstase wandelt Margery an den Schaukästen des Natural History Museum vorbei und auch als Leser kann man satzweise über diese Käferwelt nur staunen und schließt diese unscheinbare Frau langsam in sein Herz:

 "Fühler wie Halsketten, Schnurrbärte, Scheibenwischer, Keulen. Fühler so fein wie ein Lockenhaar, Fühler mit Bommeln, perlenbesetzt, mit einem Horn oder Stachel bewehrt, von der Form eines Kammes."

Als Expeditionsbegleitung ist Enid Pretty nun völlig ungeeignet. Die schrille kleine Person scheint eher auf eine Vergnügungsfahrt zu starten, mit ihren hautengen Kleidchen, Make-up und blondiertem Haar. Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen und da sich sonst niemand findet, der spontan auf eine Insel im Südpazifik fahren möchte, ist Enid mit im Boot. Weder die erhofften Französischkenntnisse noch sonstige Erfahrungen mit Käfern kann die Blondine vorzeigen, dafür verfügt sie über ein ungeahntes Organisationstalent und bezirzt so manchen Zollkontrolleur, um ohne Pass die Reise fortsetzen zu können

Zwischen den Zeilen kann man viel über diese herzerwärmenden Frauen erfahren. Beide haben eine schicksalhafte Vergangenheit hinter sich und mussten allein in einer schwierigen Nachkriegszeit ums Überleben kämpfen. Sie scheinen beide nach einem Strohhalm zu greifen, um eine letzte Chance im Leben zu erhalten. Sie dabei zu beobachten, wie sie über sich hinauswachsen, sich gegenseitig Halt geben und an Stärke gewinnen, ist berührend. 

Es ist diese besondere Mischung aus Humor, Leichtigkeit und tiefem Gefühl, was diesen besonderen Roman ausmacht. Enid Pretty fasst es am besten zusammen:

 "Was uns zugestoßen ist, macht nicht das aus, was wir sind. Wir können sein, was wir sein möchten."



Mittwoch, 17. Februar 2021

Unter Wasser Nacht von Kristina Hauff

Erscheinungsdatum: 15.02.2021
Verlag: hanserblau
ISBN: 9783446269453
Fester Einband
Seiten:
288

  
Leseprobe


Meine Bewertung: 3,5 von 5 Punkten 


Inhalt: Zwei befreundete  Paare, die sich so gut verstehen, dass sie gemeinsam ein Grundstück teilen und Haus an Haus wohnen. Thies, Sophie, Inga und Bodo haben sich diesen Traum im Wendland an der Elbe erfüllt, doch ihre Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt. Aaron, der elfjährige Sohn von Thies und Sophie, kommt in der Elbe ums Leben und mit seinem Tod legt sich ein Schatten über das perfekte Miteinander der Paare. Ein Jahr nach dem Unglück erscheint eine geheimnisvolle Frau im Ort, die allzu aufmerksam und interessiert auf alle zugeht. Durch sie werden Gefühle geweckt und Geheimnisse gelüftet, die schon zu lange verborgen blieben.

Kristina Hauff hat einen sehr klaren, beobachtenden Schreibstil. Besonders die Landschaft an der Elbe wird aus einem besonderen Blickwinkel betrachtet. Statt natürliche Bilder zu zeichnen, werden eher emotional bedrückende Szenen heraufbeschworen. Jedes Kapitel wechselt mit Sicht auf einen bestimmten Protagonisten. So erfährt man Kapitel um Kapitel mehr über die einzelnen Personen und deren Sichtweise auf das Geschehene. Mir fehlte dabei aber die Nähe zu den handelnden Personen. Es werden wenig Emotionen transportiert, die Charaktere bleiben sehr kühl, vielleicht auch oberflächlich. Das mag gewollt sein, um die Situation vom Leser interpretieren zu lassen. 

Das Schlimmste, was Eltern passieren kann, ist, ein Kind zu verlieren. Im Fall von Thies und Sophie gibt es dann noch die Ungewissheit, warum ihr Sohn sterben musste.

 "Warum geht ein Elfjähriger mit T-Shirt, Hose und Schuhen in die Elbe?"

Die Polizei ist gerade dabei, die Ermittlungen einzustellen und so schwindet knapp ein Jahr nach dem Schicksalsschlag für die Eltern jede Hoffnung, eine Erklärung zu erhalten. Diese Zerrissenheit ist deutlich zu spüren. Jeder versucht mit sich allein das Unaussprechliche zu verarbeiten. Jedwede Nähe zueinander scheinen sie verloren zu haben. Auch ihre Freunde meiden sie, weil sie die perfekte Familie im Nebenhaus nicht mehr ertragen können. 

Als eine Fremde durch einen Zufall in das Leben der Freunde tritt, nehmen sie diese als unverhoffte Bereicherung in ihrer Mitte auf.

 "Mara war voller Widersprüche. Sie gab die um sein Seelenwohl besorgte Freundin. Die sinnliche Mara, die ihn lockte. Die besonnene Frau, die ihn abwies. Mara, die ihre Geheimnisse hatte."

Die Figur der Mara wirkte auf mich zu sehr am Reißbrett konstruiert. Eine Frau, die gleich von mehreren Personen als ihr persönliches Highlight im Alltag willkommen geheißen wird. Niemand kennt diese Frau und von heute auf morgen geht sie bei den Paaren ein und aus. Es entsteht sogar eine Art Wettstreit darum, wer am meisten Zeit mit ihr verbringen kann. 

Mara ist es dann auch, die Bodo und Inga darauf aufmerksam macht, dass deren Tochter Jella etwas bedrückt. Es ist zwar nicht außergewöhnlich, dass Außenstehende häufig etwas sehen, was direkt Betroffenen nicht offensichtlich ist. Aber gerade hier, wo eine perfekt funktionierende Familie beschrieben wird, soll niemand gemerkt haben, dass Jella etwas verbirgt und nicht verarbeiten kann? Es ist mir schwergefallen, der Wendung etwas Glaubhaftes abzugewinnen. 

Mir sind in diesem Roman zu viele Themen miteinander verwoben worden. Der Verlust eines Kindes hätte für mich allein als Thema ausgereicht und müsste nicht durch eine wild konstruierte dramatische Geschichte ummantelt werden. Es geht um Verlust, Verdrängen und Wegschauen. Freundschaften und Beziehungen müssen zeigen, wie belastbar sie in schwierigen Situationen sind. 

Ich habe mich bei der Bewertung nicht leichtgetan, 3,5 Sterne, weil mir am Ende die stillen Momente im Roman gefallen haben.

Mittwoch, 10. Februar 2021

Trauma von Christoph Wortberg

Erscheinungsdatum: 19.02.2021    
Verlag: dtv
ISBN: 9783423262682
Flexibler Einband
Seiten:
368
 
 
Meine Bewertung:
3 von 5 Punkten 

  







Inhalt: Würde ein Nichtschwimmer sich mitten im See vom Schlauchboot in den sicheren Tod begeben? Mordermittlerin Katja Sand ist skeptisch und wird bestätigt, als ein weiterer mysteriöser Todesfall durch Ersticken im Kühlschrank gemeldet wird. Ihre Ermittlungen werden durch Bedenken von Vorgesetzten und fehlende pathologische Hinweise erschwert. Lediglich ihr Kollege Rudi Dorfmüller glaubt an ihren Instinkt und unterstützt sie, auch wenn ihm selbst Zweifel an ihrer Theorie kommen.

Christoph Wortberg hat mit seinem Debüt den Auftakt zu einer Thrillerserie geschrieben. Der Schreibstil ist durch die kurzen und einfachen Sätze sehr schnell zu erfassen. Dadurch bekommt der Inhalt ein gewisses Tempo bei gleichbleibender Spannung. Die Handlung ist in drei Abschnitte unterteilt, die jeweils von einer in der Vergangenheit spielenden Szene eingeleitet werden. Ein dreijähriges misshandeltes Kind muss unfassbares Leid ertragen. Bis zum Ende wird mit dem Leser gespielt, wer dieses Kind sein könnte. 

Das Ermittler-Duo Katja und Rudi ist leider etwas in die Klischeekiste gerutscht. Eine toughe, geschätzte Ermittlerin, die ihr Privatleben nicht in den Griff bekommt. Die Tochter scheint ihr zu entgleiten und die Beziehung zu ihrer Mutter kann man nur als unterkühlt bezeichnen. Der eigenwillige Kollege scheint ein Einzelgänger und Eigenbrötler zu sein, der seine Arbeit als Lebensinhalt sieht. Für seine Vorgesetzte würde er dennoch fast alles tun und auch mal über Dienstordnungen hinwegsehen.

 "Sie umklammert das Lenkrad, das feucht ist von ihrem Schweiß. Sie wischt sich die Hände an den Oberschenkeln ab. Es nützt nichts. Sie schwitzt ihre verfluchte Vergangenheit aus."

Die gut konstruierte Fallsituation von zwei unterschiedlichen vermeintlichen Suiziden, die nach und nach immer mehr Parallelen aufweisen, wird häufig durch die privaten Probleme Katja Sands unterbrochen. Ein thrillerartiger Spannungsbogen kann dadurch nur schwer aufgebaut werden. 

Sehr interessant ist, wie die Marine mit dem Fall umgeht. Vertuschen und weitermachen. Hoffentlich nur noch fiktiv und nicht mehr in der Wirklichkeit zu finden. 

Für die Fortsetzung würde ich mir mehr Fallarbeit und weniger Privatleben mit einem anwachsenden Spannungsbogen wünschen.

 


 

Montag, 8. Februar 2021

Der Malik von Bernhard Kreutner

Erscheinungsdatum: 21.01.2021    
Verlag: Benevento
ISBN: 9783710900969
Flexibler Einband
Seiten
288 
  


Meine Bewertung:
3,5 von 5 Punkten 






Inhalt: Ein besonders heikler Fall auf Malta sorgt dafür, dass die "Sonderermittler für besondere Fälle" zum Einsatz kommen. Ein hoher österreichischer Finanzbeamter ist verschwunden und niemand weiß genau, was er dort wollte oder warum er verschwunden ist. Michael Lenhart und Sabine Preiss haben wenig, auf dem sie aufbauen können. Lediglich ein Zettel mit der Notiz "Der Malik" bildet die Grundlage ihrer Recherchen. Als sie auf eine Familie mit Migrationshintergrund stoßen, haben sie plötzlich Politik und Medien gegen sich. Politische und wirtschaftliche Ränkespiele werden gezielt miteinander verflochten und sind nur schwer zu enttarnen.

Dies ist der zweite Teil einer Kriminalromanserie eines Sonderermittler-Duos, den Autor Bernhard Kreutner im locker, leicht zu folgendem und interessanten Stil geschrieben hat. Da ich den ersten Teil "Der Preis des Lebens" nicht kannte, hatte ich Bedenken, ob man ohne Vorkenntnisse in die Serie einsteigen kann. Die Erklärungen und die Zusammenhänge der Personen werden ausreichend wiedergegeben, um sich zurechtzufinden. Der erste Teil hat mir nicht gefehlt. 

Besonders interessant finde ich die Mischung aus Wirtschafts- und Politikkrimi, der zwar kein neues Thema aufgreift, aber dennoch sehr gut umgesetzt wird. Der kriminelle Umgang mit europäischen Emissionszertifikaten und dem sogenannten Umsatzsteuer-Karussell, der Umsatzsteuererschleichungen in traumatischer Höhe ermöglicht, wird hier sehr realistisch beschrieben. 

In diesem Roman geht es nicht darum, einen Täter zu finden, sondern ihm das Handwerk zu legen. Die Clan-Kriminalität mit all ihren schmutzigen Tricks wird hier von einer ganz anderen Seite beleuchtet. Das Clan-Oberhaupt hält an alten Traditionen fest, reell ist nur, was man mit Händen greifen kann. Seine Söhne spezialisieren sich aber mehr und mehr auf digitale Kriminalität, mit der sie wesentlich effektiver und erfolgreicher sind. Hinter der Fassade erfolgreicher Geschäftsmänner gehen sie skrupellos sprichwörtlich über Leichen. 

Der Wiener Charme darf natürlich nicht fehlen und so ist die Vorzimmerdame Frau Wolf der heimliche Star in diesem Roman. Mit Dialekt und forschem Auftreten ist sie immer bestens informiert und hilft den Ermittlern in mancher brenzligen Situation einen Wissensvorsprung zu erhalten. Schwerer habe ich mich mit Ermittler Dr. Lenhart getan, der ein Faible für philosophische Ergüsse hat, die nicht immer angebracht und nachvollziehbar sind:

 "Dekonstruiert á la Frankfurt erhält man dann ein Oxymoron wie den demokratischen Sozialismus."

Da halte ich es eher mit einem seiner Polizeikollegen:

 "Michael, sorry, bei aller Wertschätzung, du hast einen an der Waffel."

Alles in allem hat mir dieser Kriminalroman zunehmend besser gefallen. Die anfänglichen Anfangsschwierigkeiten mit den Charakteren sind dem Interesse am Thema und dem steigenden Spannungsbogen gewichen. Ein thematisch ungewöhnlich angelegte Story, die neugierig auf die Fortsetzung macht. 

Dienstag, 2. Februar 2021

Das Verschwinden der Erde von Julia Phillips

Erscheinungsdatum: 22.01.2021    
Verlag: dtv
ISBN: 9783423282581
Fester Einband
Seiten
376
  
Leseprobe







   
Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 


Inhalt: Im August verschwinden die russischen Golosowskaja-Schwestern aus der Bezirkshauptstadt Petropawlosk auf Kamtschatka. Viele Vermutungen und haltlose Schuldzuweisungen heizen die Gemüter der Stadtbewohner auf. Kinder dürfen nicht mehr allein auf die Straße gehen, indigene Mitbürger werden kritisch beäugt. Je mehr Einzelbetrachtungen aus unterschiedlichen Perspektiven getroffen werden, desto mehr verbinden sich lose Fäden zu einem Bild.

Julia Phillips hat für ihren Debütroman Jahre bis zur Fertigstellung benötigt. Die darin zugrundliegende Detailarbeit ist deutlich spürbar. Ein sehr feiner emotionaler Schreibstil gibt Beobachtungen über 12 Frauen aus unterschiedlichen Regionen und Gemeinschaften im post-sowjetischen Kamtschatka wieder. Als Rahmenhandlung verbindet alle die Entführung der russischen Geschwister Aljona 11 Jahre alt und Sofija 8 Jahre alt, aus Petropawlowsk. Jedes Kapitel beginnt mit einem Monat, bis ein Jahr vorbei ist und das Buch im Juli endet. 

Jeder Monat ist einer weiteren Frauenfigur gewidmet, wird mit den bisherigen verwoben und führt ein Stück weit mehr zur Aufklärung des Verbrechens bei. Viele Personen tauchen am Rand erneut auf oder begegnen sich. 

Dies ist ein Roman, auf den man sich einlassen muss. Bei mir hat es etwas gebraucht, ein Gefühl für die Stimmung und die Besonderheiten der Personen zu bekommen. Von Kamtschatka habe ich vorher so gut wie nichts gewusst. Aber genau dafür wirbt dieser Roman: Setz dich mit den Menschen und ihrer Situation auseinander. 

Die gesellschaftlichen Probleme nach der Auflösung der Sowjetunion zwischen Russen und Indigenen wird gut herausgearbeitet. Allen Personen ist anzumerken, dass sie auf der Suche nach sich selbst sind. Eine Zugehörigkeit ist ihnen abhandengekommen. Besonders stark ist es bei Ksjuscha zu spüren, einer Studentin in der Hauptstadt, deren Familie Rentiere in Esso züchtet und nur in den Wintermonaten an einem Ort lebt. Das urwüchsige Wilde der Tundra fehlt ihr in der Stadt, sie fühlt sich fremd. Erst als sie einer traditionellen Tanzgruppe beitritt, fühlt sie sich aufgehoben. 

Immer wieder wird die Stadt oder die Gesellschaft als unheilvoll, gefährlich und düster dargestellt. Die Menschen fühlen sich nicht wohl oder sind einsam. Halt finden sie in der Natur und in ihren Traditionen. Katja, eine Zollbeamtin, fasst es zusammen:

 "Sie war schon als Kind in diesen Wäldern gewesen, und obwohl sie inzwischen zwei Jahrzehnte Wachstum hinter sich hatten, sahen die Birken im Licht der Sterne immer noch so aus wie damals, als sie ein kleines Mädchen gewesen war: alt, eindrucksvoll und voller Magie. Die Welt da draußen hatte sich immer stärker verändert, war unberechenbarer und gefährlicher geworden, doch Orte wie dieser waren geschützt."

Die fast schon verloren gegangene Rahmenhandlung der verschollenen Schwestern wird am Ende wieder aufgenommen. Der letzte lose Faden wird verwoben, die Personen rücken näher aneinander, um dann doch ein offenes Ende mit Raum für eigene Vorstellungen des Lesers zu lassen. 

Mich hat dieser Roman erst im Nachhinein in seinen Bann gezogen. Tatsächlich habe ich noch einige Tage danach immer wieder an Szenen denken müssen. Die Vielschichtigkeit und Dichte musste bei mir etwas nachwirken. Letztendlich gebe ich aber sehr gern eine Leseempfehlung.