Montag, 3. April 2017

Der Club von Takis Würger


http://www.headroom.info/neuerscheinungen/neu-maerz-17-5-cds-der-club.html
    Erscheinungsdatum: 03.03.2017
    Verlag: Headroom Sound Production
    ISBN: 9783942175906
    5 CDs: 5 Stunden, 41 Minuten

    Hörprobe

    Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
  Für den Waisen Hans Stichler bedeutet das Boxen eine
  Flucht aus dem Alltag. Im Jesuiteninternat in Bayern lernt
  er von Pater Gerald das Kämpfen. Seine Tante Alex bietet
  ihm ein Stipendium für die Universität Cambridge an, stellt
  aber eine Bedingung. Hans soll als Mitglied im elitären Pitt
  Club aufgenommen werden, um dort im Verborgenen ein
  Verbrechen aufzuklären. Die reiche und unnahbare
  Charlotte stellt die notwendigen Verbindungen her. Eine
  Welt voller Traditionen, Geheimnisse, Geld und
  Verbindungen öffnet sich Hans und stellt ihn vor die Wahl.

Märchenhaft beginnt Takis Würger sein Debüt, welches eine Mischung aus Entwicklungsroman und Krimi bildet. Ein Haus mitten im einsamen niedersächsischen Wald und ein Kind, das fast nicht geboren wurde, sich lieber versteckt und auf dem Baum ausharrt, als mit anderen Kindern zu spielen. Der stille und schüchterne Hans Stichler, der aus der Ich-Perspektive erzählt, hat mich sofort für sich eingenommen. Er leidet spürbar unter dem Tod seiner Eltern, für den er sich zu Unrecht die Schuld zuschreibt. Statt bei seiner letzten Verwandten, der Kunsthistorikerin Alex, aufgenommen zu werden, kommt er an ein Jesuiteninternat. Auch hier bleibt Hans allein, findet keinen Anschluss und boxt sich im wahrsten Sinne des Wortes durchs Leben.

Episodenhaft wechseln die acht Erzähler. Durch die flüssige, ruhige und schnörkellose Schilderung erhält der Hörer einen detaillierten, ungefilterten Blick auf das Geschehen. Gleichzeitig wird dadurch eine Spannung aufgebaut, der man sich kaum entziehen kann. Immer wenn man bei einem Erzähler bleiben möchte, wechselt die Perspektive. Ungewöhnlich feinfühlig, vielschichtig und einfühlsam werden Gefühle eingefangen, die man zum Beispiel in einem Boxring nicht erwarten würde.

Dem Autor gelingt es besonders gut, die Atmosphäre dieser traditionsbehafteten Universität einzufangen. Man spürt die Macht, die von diesem Ort ausgeht und riecht das alte Geld, das an den edlen Polstern und Möbeln zu haften scheint. Unzählige elitäre Clubs, geheime Verbindungen und nur wer dazugehört, der hat es geschafft. Viele lassen sich auf ein Spiel ein, aus dem sie nicht unversehrt herausgehen können. Das Verwischen von angenommenen Wahrheiten und der tatsächlichen Realität zeigt sich besonders bei dem narzisstisch versnobten Josh.

"'Es gibt nur zwei Typen von Menschen in Cambridge. Die einen sind reich, die anderen versuchen, reicher zu wirken, als sie sind', sagte er."
Coole Typen in gut geschnittenen Anzügen, Alkohohl in Ströhmen und schöne Frauen. Die Partys und Ausschweifungen im Pitt Club lassen erahnen, um was für ein Verbrechen es sich handeln muss. Doch das eigentliche Verbrechen liegt im Vertuschen, Gutheißen, Wegsehen. Jeder spielt perfekt seine Rolle, versteckt sich hinter einer Maske. Hans steht am Ende allein vor der Entscheidung Freundschaft oder Verrat zu wählen. Die Auflösung ist vielleicht eine Spur zu heroisch dramatisch ausgefallen, glaubhaft aber durchaus.

Dieser Roman mit seinen verschiedenen Erzählperspektiven ist wie gemacht für ein Hörbuch. Fesselnde Sprecher wie Anna Maria Mühe oder Hartmut Stanke machen den Roman zu einem besonders erlebbaren und empfehlenswerten Hörgenuss.





Montag, 20. März 2017

Die Geschichte eines neuen Namens von Elena Ferrante


http://www.elenaferrante.de
    Erscheinungsdatum: 10.01.2017
     Verlag: Suhrkamp
     ISBN: 9783518425749
     Fester Einband: 624 Seiten

     Leseprobe

     Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
  Anfang der 60er Jahre beginnt für die sechzehnjährigen Lila
  und Elena ein neuer Lebensabschnitt. Lila, jetzt Signora
  Caracci, ist verheiratet mit einem angesehenen Kaufmann,
  der ihr ein Leben in Luxus und Ansehen verspricht. Doch
  dafür zahlt sie einen hohen Preis, denn als Ehefrau hat sie
  zu gehorchen. Elena setzt dagegen auf ihre Schulbildung
  und geht aufs Gymnasium, wohl wissend, dass sie sich
  dadurch immer mehr vom Rione ihrer Kindheit entfernt. Als
  beide sich in den gleichen Mann verlieben, scheint kein Platz

   mehr für ihre Freundschaft zu sein.

Elena Ferrante
setzt im zweiten Teil ihrer Romanreihe die Geschichte der Freundinnen, erzählt von Elena (Lenù) in der Ich-Form, nahtlos fort. Auf den ersten Seiten findet sich ein ausführliches Personenverzeichnis mit Erläuterungen zu den bisherigen Ereignissen, das den Einstieg erleichtert. Um die Entwicklung der Protagonistinnen besser verstehen zu können, ist es hilfreich, vorab „Meine geniale Freundin“ zu lesen.

Handlungsort ist das düstere, von Gewalt und Brutalität geprägte Neapel in den Jahren 1960 bis 1966. Der Autorin gelingt es, diesen Ort lebendig werden zu lassen, man riecht die muffigen Gassen, sieht die scheelen, misstrauischen Blicke, die einen überall hin begleiten. Im Rione gelten eigene Regeln, an die sich jeder zu halten halt. Um so bemerkenswerter ist es, dass Elena für ihre Bildung kämpft, sich zur Wehr setzt. Doch immer wieder ist es die schöne, unnahbare Lila, die in den Vordergrund rückt.

Durch die Heirat hat sich Lila für eine Zukunft als Ehefrau und Mutter entschieden, nicht ahnend, dass ihr geliebter Mann entgegen aller Beteuerungen gemeinsame Sache mit dem Camorra-Clan macht. Ihren Widerspruch und ihr hitziges Temperament zwingt er mit Gewalt in ihre Schranken.

„Wir waren mit der Vorstellung aufgewachsen, dass kein Fremder uns anrühren durfte, dass aber unser Vater, unser Verlobter, unser Ehemann uns ohrfeigen durfte, wann immer er wollte, aus Liebe, um uns zu erziehen und uns zu bessern.“
Elena, die um keinen Preis so enden möchte wie ihre Mutter, wird zur Vorzeigeschülerin, doch innerlich brennt ein Kampf in ihr. Fast hätte sie sich an einen Mann gebunden, nur um dazuzugehören, denn Anerkennung für ihre Leistungen findet sie im Rione nicht. Ein Sommerurlaub auf Ischia wird zum Wendepunkt der beiden Frauen. Die vermeintliche Leichtigkeit des Sommers steht im spitzen Gegensatz zu den Emotionen, die schließlich in einem furchtbaren Fiasko enden. Elena wendet sich von Lila ab und erhält ein Stipendium an einer Eliteuniversität in Pisa. Sie scheint einen neuen Weg gefunden zu haben, doch die Erinnerung an Lila lässt sie nicht los.   

"Und ihr Leben taucht beständig in meinem auf in den Worten, die ich gesagt habe und in denen häufig ihre Worte widerklingen; in jener entschlossenen Geste, die eine Nachahmung einer ihrer Gesten ist; in meinem Weniger, das als solches wegen ihres Mehr da ist; in meinem Mehr, das die Umkehrung ihres Weniger ist."
Lila, der einstige strahlende Stern des Rione, bleibt als Charakter schemenhaft und schwer durchschaubar. Fast meint man, sie sucht sich ihr Leid selbst aus. Elena dagegen ist für mich sehr klar gezeichnet. Trotz ihrer Zielstrebigkeit beim Lernen und den daraus resultierenden Erfolgen, bleibt sie unsicher, scheint ihren Platz im Leben nicht zu finden.   

"Aber eigentlich blieb ich eine kulturell allzu angepasste Dilettantin, ich besaß keine Rüstung, in der ich ruhig voranschreiten konnte, wie sie es taten."
Eine vielschichtige und emotionsgeladene Studie menschlicher Schwächen macht den Reiz dieses Romans aus. Der tagtägliche Versuch, aus einer gesellschaftlich vorbestimmten Situation auszubrechen, der Kampf um Anerkennung, um Selbstfindung wird eindringlich und fühlbar vermittelt. Auch wenn das #FerranteFever bei mir nicht ausgebrochen ist, tauche ich gern in die atmosphärische Geschichte ein und bin auf die Fortsetzung gespannt.

Montag, 13. März 2017

Die Terranauten von T.C. Boyle


https://www.randomhouse.de/Hoerbuch-MP3/Die-Terranauten/T.C.-Boyle/der-Hoerverlag/e508633.rhd#service
    Erscheinungsdatum: 09.01.2017
    Verlag: Der Hörverlag
    ISBN: 978-3-8445-2384-3
    2 MP3-CDs: Laufzeit: 16h 46

    Hörprobe

    Meine Bewertung: 3,4 von 5 Punkten 
  Darauf haben sie hingearbeitet, sich gequält, ihr Bestes
  gegeben. 1994 sind sie die auserwählten Terranauten von
  "Ecosphere 2“ und dürfen zwei Jahre lang in einem
  künstlich erzeugten Ökosystem ein neues Leben erproben.
  Ihre streng durchstrukturierten Aufgaben bestehen zumeist
  aus körperlicher Arbeit, um das System zu betreiben und
  genug Nahrungsmittel zu erzeugen. Acht Menschen, die
  sich auserwählt fühlen und sich ihr eigenes Mantra "Nichts
  rein, nichts raus" vorsagen, um zu zeigen, wie wichtig ihnen
  ihre Mission ist. Doch zwei Jahre sind lang und nicht alles
  kann man vorher planen.

Angelehnt an ein tatsächliches Experiment in den 90er-Jahren in Arizona lässt T.C. Boyle vier Frauen und vier Männer als Terranauten in ein gigantisches Terrarium einziehen, das aus Savanne, Regenwald, Ozean und Anbauflächen besteht und unterschiedliche Spezies an Pflanzen und Tieren aufweist. Was vom Betreiber als dauerhaftes Experiment zur Vorbereitung der Marsbesiedelung geplant ist, entwickelt sich mehr und mehr zu einer Sozialstudie.

Perfekt für ein Hörbuch ist die Erzählperspektive des Buches. Drei Erzähler, die gekonnt von August Diehl, Ulrike C. Tscharre und Eli Wasserscheid gesprochen werden, berichten aus der Ich-Perspektive von ihren Erlebnissen vor und während des Experiments. Womanizer Ramsay Roothoorp und die Schönheit Dawn Chapman sind die glücklichen Teilnehmer des Experiments, während Linda Ryu als verschmähte Bewerberin schmollend aus der Außenperspektive berichtet. Der Wechsel zwischen den Sprechern lockert die Laufzeit von knapp 17 Stunden deutlich auf, denn die Spannung des Romans hält sich in Grenzen.

Detailliert und lang gezogen wird beschrieben, wem welche Aufgaben zugeordnet sind und wie der Alltag der Terranauten aussieht. Man meint selbst einen Blick auf die durch Kameras überwachten Missionsteilnehmer zu werfen. Genauso fern und oberflächlich, wie durch einen Bildschirm betrachtet, bleiben die handelnden Personen dann auch. Statt eine Gemeinschaft zu bilden, entfernen sich die Personen immer mehr voneinander. Gelenkt durch das autoritäre System der äußeren Führung, an dessen Spitze der Boss, genannt Gottvater steht, kann keine eigene Gruppendynamik entstehen.

Durch das vorgegebene Setting einer geschlossenen Umgebung hatte ich mir mehr Emotionen, Auseinandersetzung und Lebendigkeit erhofft. Stattdessen wird über Banalitäten wie Schönheitsideale oder Essensträume gesprochen. Selbst dramatische Ereignisse wie das Auftreten von Sauerstoffmangel oder die Nahrungsmittelknappheit während des Winters lassen den Spannungsbogen nur kurz ansteigen. Statt wissenschaftlicher Erkenntnisse erlebt man einen menschlichen Kleinkrieg auf niedrigstem Niveau. Kleine Gemeinheiten, Neid und Zwietracht stehen im Vordergrund. Vom Autor gewollt, um die Schlichtheit des Menschen herauszuarbeiten?

Mich hat das Buch ein wenig ratlos zurückgelassen. Vielleicht war meine Erwartungshaltung auch einfach zu groß. Das Thema an sich fand ich sehr interessant, nur die Umsetzung war mir zu flach und undynamisch. Meine Bewertung liegt knapp unter vier Sternen.

Donnerstag, 9. März 2017

Herz auf Eis von Isabelle Autissier


http://www.mare.de/index.php?article_id=4533&setCookie=1
     Erscheinungsdatum: 07.03.2017
     Verlag: mare Verlag
     ISBN: 9783866482562
     Fester Einband: 224 Seiten

     Leseprobe

     Meine Bewertung: 5* von 5 Punkten 
  Wer träumt nicht davon aus dem Alltag auszusteigen und die
  Welt kennenzulernen. Louise und Ludovic machen den
  Traum wahr und umsegeln während eines Sabbatjahres die
  Welt. Eine einsame Insel südlich von Kaphorn im kalten
  Atlantik reizt die beiden Bergsteiger, denn hier wartet ein
  Gletscher auf sie. Während der Klettertour zieht ein heftiger
  Sturm auf, der die Rückkehr zur Jacht unmöglich macht.
  Dann der Schock am nächsten Morgen: Das Schiff hat sich
  losgerissen und ist verschwunden. Fern aller Zivilisation
  kämpfen die Steuerbeamtin und der
  Kommunikationswissenschaftler ums nackte Überleben.

Isabelle Autissier hat einen so eindringlichen und plastischen Schreibstil, dass man sich von der Handlung mitreißen lässt. Die Autorin spiegelt die tiefsten existenziellen menschlichen Ängste in einer extrem spannungsgeladenen Geschichte wider. Dazu kommen die Naturschilderungen, die bildhaft die Schönheit und gleichzeitige Unerbittlichkeit der Landschaft zeigen. Man spürt förmlich selbst die raue Gletscherkruste und die Kraft des eisigen Windes. Zwei Großstadtmenschen mit einer Handvoll Habseligkeiten allein auf einer einsamen Insel. Um zu verstehen, was mit den beiden passiert, gibt es einen Rückblick auf die Zeit ihres Kennenlernens. Dabei spielen ihre unterschiedlichen Charaktere eine große Rolle. Hier geht es um viel mehr, als um den existenziellen Kampf gegen Kälte und Hunger.
"Wenn es um das Leben, um den Tod, um Entscheidungen von größter Wichtigkeit geht, zählt der andere nicht mehr. ..... Das ist unbedingtes Recht, ihre Pflicht sich selbst gegenüber."
Die Wahrung der eigenen Würde, das Begreifen des Menschseins wird zu einer immer größeren Bürde. Zwei sich vertrauende, liebende Menschen stehen am Abgrund ihres Lebens und diese Zerrissenheit ist unglaublich intensiv beschrieben. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie schnell man aus der vermeintlich sicheren Komfortzone herausgerissen werden kann und was von einem übrig bleibt, wenn nichts weiter als das Überleben bleibt.

Diese Geschichte rüttelt auf, führt an Grenzen, die man selbst nie erleben möchte und ist ein Spiegel, der den Leser auffordert, sich selbst zu erforschen.
Ein eindringlicher und empathischer Roman, der ein ganzes Spektrum an Emotionen hervorruft und mich begeistert hat. 

Montag, 6. März 2017

[Lesung] Imbolo Mbue am 13. März 2017 in Hannover

Am 13. März 2017 liest Imbolo Mbue aus ihrem aktuellen Buch "Das geträumte Land" im Literarischen Salon Hannover https://www.literarischer-salon.de/

Königsworther Platz 1 · 30167 Hannover
20 Uhr, Conti-Foyer 


Das geträumte Land von Imbolo Mbue


http://www.kiwi-verlag.de/buch/das-getraeumte-land/978-3-462-04796-7/
     Erscheinungsdatum: 16.02.2017
     Verlag: Kiepenheuer & Witsch
     ISBN: 9783462047967
     Fester Einband: 432 Seiten

     Leseprobe

     Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
  In Amerika, Sehnsuchtsland vieler Einwanderer, will auch der
  Kameruner Jende Jonga und seine kleine Familie ein
  neues, besseres Leben beginnen. In New York findet er 2007
  eine Anstellung als Chauffeur bei dem erfolgreichen
  Finanzmanager Edwards und er tut alles, um seinem Chef zu
  gefallen. Jendes Frau Neni kümmert sich nicht nur um den
  kleinen Sohn, sondern sie lernt in jeder freien Minute, um ein
  Pharmaziestudium beginnen zu können. Ein Aushilfsjob als
  Nanny während der Sommerferien bei Edwards Frau bessert
  die Familienkasse auf. Doch das kleine Glück wird von der
  angekündigten Abschiebung bedroht. Sorgen um den Job,
  ständige Geldnot und die Angst vor der Familie in Afrika das
  Ansehen zu verlieren, stellen Jende und Neni auf eine harte
  Probe.

Imbolo Mbue
hat einen hochaktuellen Einwanderer-Roman zur Zeit der amerikanischen Finanzkrise 2008 und der Wahl Barack Obamas geschrieben. Das Schicksal des Kameruner Einwanderers Jende Jonga und des Finanzmaklers von Lehman Brothers, Clark Edwards, wird miteinander verwoben. Gekonnt arbeitet die Autorin die Klassenunterschiede der beiden Familien heraus, ohne allzu viel klischeehafte Vergleiche zu bemühen. Das Erringen des lang erhofften lukrativen Jobs als Chauffeur wird durch eine leichte und humorige Stimmung unterstrichen. Die Edwards stehen für alles, was Jende sich erträumt hat. Sie scheinen den amerikanischen Traum zu leben und stehen für Wohlstand, Ansehen und ein harmonisches Familienleben. Jende fühlt sich wohl, plaudert mit seinem Chef, sorgt sich um dessen Frau und nimmt Anteil an deren Familienleben. Zukunftspläne werden geschmiedet und Geld für eine neue Wohnung zurückgelegt. Man spürt den Elan und die Kraft, die von Jende und Neni ausgehen. Sie verstehen es, ihre Kultur und Mentalität mit der neuen Lebensart zu verbinden. Dennoch geben sie ihre eigenen Wurzeln nicht auf, gehören zu einer kleinen Einwanderergemeinschaft, die ihnen Halt gibt.

"Die Ehen, die die Leute in diesem Land führen, Bo, sind sehr seltsam. Es ist nicht wie zu Hause, wo ein Mann macht, wie er denkt, und seine Frau sich danach richtet. Hier ist es andersherum. Die Frauen sagen ihren Männern, wie sie es wollen, und die Männer machen es, weil sie sich sagen, Ehefrau besser glücklich, weil Leben sonst schrecklich. Die Gesellschaft hier ist seltsam."
Doch langsam kippt die Stimmung, Clark Edwards wirkt unruhig, besorgt. Sein ältester Sohn zieht es vor auf einen Selbstfindungstrip nach Indien zu gehen und selbst die Society-Lady Cindy Edwards kann ihre hart erarbeitete perfekte Fassade nicht mehr aufrechterhalten. Durch die Finanzkrise muss die Investmentbank 2008 Insolvenz beantragen. Zum gleichen Zeitpunkt wird der fast schon sichere Asylantrag Jendes abgelehnt. Die drohende Abschiebung und die Angst um seine Anstellung wirken sich auf das Familienleben aus. Durch den Druck, der auf Jende lastet, wandelt er sich vom sympathischen Ehemann zum machohaften Egoisten, der seine Frau bevormundet und sogar misshandelt. Das Leben wird immer mehr zum Kampf gegen sich selbst und die Gesellschaft. Als Jendes Körper den Strapazen nicht mehr gewachsen ist, trifft er eine unerwartete Entscheidung.

Besonders gefallen hat mir der Satz, den Jende Weihnachten zu seinem Sohn sagt, als dieser nicht versteht, warum es bei ihnen keine Geschenke gibt. Denn trotz aller materiellen Dinge, die sie sich erhoffen, ist ihnen die Familie doch am wichtigsten.
 

"Ob jemand dich wirklich liebt - so Jendes Vortrag jedes Mal -, zeigt sich an dem, was er mit seinen Händen für dich tut, welche Wörter er dir aus seinem Mund schenkt und was sein Herz über dich denkt."
Am Ende hat jeder selbst sein Leben in der Hand und entscheidet über den zukünftigen Weg. Diese bewegende Geschichte hat mich sehr nachdenklich zurückgelassen und ist in Zeiten der Trumpregierung an Aktualität nicht zu schlagen.   

 

Donnerstag, 2. März 2017

Überraschungsvideo

Gerade habe ich ein persönliches Dankesvideo für meine Rezension

Herr S. bekommt Besuch von Patrick Hinz


von Autor Patrick Hinz und Programmleiter Timothy Sonderhüskenerhalten von dotbooks erhalten.

Ich habe mich riesig über diese persönliche Botschaft gefreut.




Vielen Dank für die gelungene Überraschung, ich bin immer noch ganz sprachlos.

Freitag, 24. Februar 2017

Die Stierin von Andrea Stift-Laube


http://www.kremayr-scheriau.at/bucher-e-books/die-stierin-882
    Erscheinungsdatum: 08.02.2017
    Verlag: Kremayr & Scheriau
    ISBN: 9783218010689
    Fester Einband: 176 Seiten

    Leseprobe

    Meine Bewertung: 5 von 5 Punkten 
Ihr Käseladen und der Umgang mit Kunden und Käse gibt Maeve Halt, bildet den Rahmen, um die Demütigungen und Misshandlungen von Männern vergessen zu können. Von Maeve geschnitzte Käsefiguren nehmen die Form einer alten keltischen Sage an. Immer tiefer taucht sie in die grüne Welt von Königin Maeve ein, die ihr Kraft spendet und einen Rückzugsort bietet. Gegenwart und Mythos verschwimmen.

Andrea Stift-Laube
verknüpft die mir bisher unbekannte keltische Sage "Der Rinderraub von Cooley" mit gegenwärtiger psychischer und körperlicher Gewalt gegen Frauen. Starke literarische Wucht und beklemmende Poesie, die mit Symbolik spielt, zeichnen diesen außergewöhnlichen Roman aus. Schon im Titel "Stierin" findet sich der erste Hinweis, dass es um Veränderung geht, denn es braucht innere Stärke, um sich verändern zu können. Aufmerksamkeit ist gefordert, wenn Sage und Gegenwart eine Symbiose eingehen. Wie weit man sich während des Lesens vom Roman entfernt, um mehr über die irische Mythologie zu erfahren, bleibt jedem selbst überlassen. Mir hat es gefallen, parallel Recherchen anzustellen und Hintergrundinformationen zu finden.
http://www.irischemythologie.de/rinderraub.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Morr%C3%ADgan


Selten habe ich mir so viele Notizen gemacht, innegehalten und über das Gelesene nachgedacht. Zarte Betrachtungen wechseln sich mit gewalttätigen Szenen ab und doch harmoniert es, wie ein Rhythmus, dem man sich nicht entziehen kann. Wie die Autorin selbst schreibt, hat sie die Gewalt "lesbar", erträglich, gemacht.

"Feines Glas zersprang in mir, es würgte sich meinen Schlund hinauf, meiner Mundöffnung entgegen, doch ich biss, ich schluckte, ich stemmte es wieder hinunter. Die Scherben drückten sich in meinen Magen und durch dünne Wände in meine Blutbahn hinein. Dort zirkulieren sie seitdem. An manchen Tagen spüre ich sie weniger, aber spüren werde ich sie für alle Zeit."
Warum erstarren Frauen in Beziehungen, lassen Misshandlung und Demütigung über sich ergehen. Wie reagiert die Umwelt und wie findet sich ein Ausweg. Ein wichtiges allgegenwärtiges Thema, das in diesem Roman gelungen umgesetzt wurde.

Eine Leseempfehlung für Leser, die bereit sind, ausgetretene Romanwege zu verlassen.
 



Radiobeitrag mit der Autorin  

Donnerstag, 23. Februar 2017

Dinge, die vom Himmel fallen von Selja Ahava


http://www.mare.de/index.php?article_id=4535&setCookie=1
    Erscheinungsdatum: 04.02.2017
    Verlag: mare Verlag
    ISBN: 9783866482425
    Fester Einband: 208 Seiten

    Leseprobe

    Meine Bewertung: 3,4 von 5 Punkten 
  Mitten im finnischen Sommer fällt ein Eisbrocken aus den
  Wolken und stürzt todbringend auf Saaras Mutter. Vom
  verzweifelten Vater emotional alleingelassen, versucht die
  achtjährige ihren eigenen Weg zu finden. Aufnahme finden
  Vater und Tochter im Gutshaus der Tante Annu, bis diese
  durch einen Schock über einen erneuten Lotteriegewinn in
  einen wochenlangen Tiefschlaf fällt. Erst der Kontakt zu
  einem schottischen Fischer, der unglückliches Opfer
  mehrerer Blitzschläge wurde, hilft Annu aus ihrer
  Schockstarre. Zurück im eigenen Haus scheint der Weg für
  die Zukunft von Vater und Tochter gelegt zu sein.

Die in vier Teile gegliederte Geschichte wendet verschiedene Stilformen, wie Märchen oder Briefe an, um die Sinnhaftigkeit des Lebens zu reflektieren. Selja Ahava spielt mit den Formen, gibt ihnen ein neues Gewand. Einfluss findet ein unaufgeregter, nordischer Charme, der Land und Leuten eigen ist. Es gibt keine durchgehende Handlung, der man folgen kann. Sprunghafte Schilderungen geben erst nach und nach ihre Zusammenhänge preis oder bleiben schlicht unerklärlich. Häuser, wie das Sägemehlhaus, wirken lebendiger als die eigentlichen Figuren.
"Wenn ein Haus alt genug ist, hört es auf, so auszusehen, als wäre es von Menschen erbaut worden. Es wird auf die gleiche Art lebendig wie ein bemooster Stein oder ein alter, dicker Baum."
Man meint, der Leser wird bewusst auf Distanz gehalten, ihm wird nur die Rolle des Betrachters zugewiesen. Die anfängliche Kindersicht der achtjährigen Saara vermittelt eine traurige doch leicht verständliche Abfolge von Geschehnissen. In der Romanfigur Hercules Poirot findet sie Halt und sucht nach Antworten für den Tod ihrer Mutter. Sie flüchtet sich in Fantasien und Erinnerungen und kehrt doch immer wieder zum Thema Tod zurück.

Jeder Abschnitt steht für sich, stellt eine Person besonders heraus, nennt sie beim Namen. Die im ersten Abschnitt noch starke Annu verliert durch ein eigentlich schönes Erlebnis, einen Millionen-Lottogewinn, völlig die Fassung. Wie im Märchen verfällt sie in einen komatösen wochenlangen Schlaf. Erst die Gewissheit, dass auch andere Menschen durch plötzliche Ereignisse, wie einen Blitzschlag, mit dem Leben hadern, lässt sie ihr Leben neu ausrichten. Der klare ungeschönte Briefwechsel zweier völlig unbekannter Personen, die sich langsam annähern, regt zum Nachdenken an.

Der Abschnitt "Die Meerjungfrau schlägt mit der Flosse" ist für mich der am schwersten zu erklärende Teil. Aus der Sicht von Kristina, der neuen Lebensgefährtin des Witwers, wird ihre Schwangerschaft, die geprägt ist von ihren Gedanken an das zu erwartende behinderte Kind, intensiv, aber befremdlich künstlich geschildert.

Sehr symbolträchtig werden viele bereits erwähnte Elemente in der Schlussszene verwendet, die viel Raum für eigene Interpretationen lassen.

Obwohl mir die ruhige Art der Schilderung, der besondere nordische Einfluss und das Wecken von ganz eigenen Schlussfolgerungen gefallen hat, habe ich keine Nähe zum Thema gespürt.
  

Emma, der Faun und das vergessene Buch von Mechthild Gläser


http://www.loewe-verlag.de/titel-1-1/emma_der_faun_und_das_vergessene_buch-8070/
    Erscheinungsdatum: 13.02.2017
    Verlag: Loewe    
    ISBN:
9783785585122
    Fester Einband: 416 Seiten

    Leseprobe
    Meine Bewertung: 3,6 von 5 Punkten 
  Für den frisch gegründeten Literaturclub soll die alte
  Internatsbibliothek genutzt werden. Beim Aufräumen findet
  die 16-jährige Emma eine Chronik, deren Einträge bis weit
  ins 18. Jahrhundert hineinreichen. Immer tiefer taucht sie in
  die Aufzeichnungen der bisherigen Chronisten ein und findet
  ein Märchen über einen Faun und eine unerfüllte Liebe.
  Voller Tatendrang trägt auch Emma ausgeschmückte
  Internatserlebnisse auf Schloss Stolzenburg ein. Überrascht
  stellt sie fest, dass diese ausgedachten Dinge plötzlich wahr
  werden. Hat das Verschwinden der Internatsschülerin Gina
  auch etwas mit der Chronik zu tun? Als Ginas Bruder Darcy
  auftaucht, um seine Schwester zu finden, bringt er Emmas
  Gefühlsleben gehörig durcheinander.

In Anlehnung an bekannte Jane Austen Romane, wie "Stolz und Vorurteil", werden bekannte Figuren in eine neue Form gegossen. Ob aber die angesprochene Zielgruppe der 12- bis 15-Jährigen Jane Austen kennt, mag dahingestellt bleiben. Mechthild Gläser hat mit leichtem Stil eine jugendlich-märchenhafte Geschichte erdacht. Zwar sind Internatsgeschichten nicht gerade neu, hier steht aber nicht das Schulleben mit all seinen Intrigen im Vordergrund, sondern ein geheimnisvolles altes Buch, das Geschriebenes in wahre Erlebnisse umsetzt. Von verschiedenen Chronisten gestaltete Seiten werden passend zu den Kapiteln dargestellt, so kann man sich die Chronik sehr gut vorstellen. Hauptprotagonistin Emma entdeckt, welche Möglichkeiten ihr das alte Buch bietet. Was als märchenhaftes Spiel beginnt, wird unerwartet zu einem spannenden Abenteuer.

Besonders der geheimnisvolle Faun, um den sich viele Geheimnisse ranken, macht den Reiz der Geschichte aus. Man rätselt die ganze Zeit, ob er in eine menschliche Gestalt geschlüpft ist und wer der Faun sein könnte. Die Mischung aus Vergangenem und aktueller Lebensart harmoniert sehr gut. Das etwas zu abrupt und zusammenhanglos gewählte Ende konnte mich trotz überraschendem Szenario und spannenden Elementen nicht ganz überzeugen. Hier fehlten mir einige Erklärungen, die einfach offengelassen wurden.

Für mich wurde die Zielgruppe der Leser nicht klar genug herausgearbeitet. Der leichte Schreibstil und die große Schrift sind besonders für jüngere Leser geeignet. Die Jane Austen Elemente und die 16-jährige Protagonistin mit ihrer ersten Verliebtheit gehören dann zur Sparte Jugendbuch.

Fazit: 

Ein märchenhaft leichtes Lesevergnügen für Jugendliche, die noch gern zu Kinderbüchern greifen.

Dienstag, 14. Februar 2017

Gefährliche Empfehlungen von Tom Hillenbrand


http://www.kiwi-verlag.de/buch/gefaehrliche-empfehlungen/978-3-462-04922-0/
    Erscheinungsdatum: 12.01.17
    Verlag: Kiepenheuer & Witsch
    ISBN: 9783462315981
    ebook: 320 Seiten

     Leseprobe     

    Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
  Bei der Einweihung des Firmenmuseums des Guide
  Gabin in Paris wird die Leihgabe des seltenen Guide Bleu
  von 1939 gestohlen. Gastrokritikerin Valerie bittet ihren
  Freund, den luxemburgischen Koch Xavier Kieffer, um
  Hilfe. Brisant wird es, als auch der Französische Präsident
  Kieffer um ein geheimes Gespräch bittet. Auf der Suche
  nach dem Buch begibt sich Kieffer in große Gefahr, denn
  noch ahnt er nicht, dass es um mehr als nur einen
  Restaurantführer geht.

Dies ist bereits der fünfte Band des eigenwilligen Kochs Xavier Kieffer. Obwohl ich die vorherigen Bände nicht kenne, konnte ich sofort ins Lesevergnügen einsteigen.
Tom Hillenbrand
hat einen flüssigen Schreibstil, der sehr detailliert, fast schon detailverliebt, Szenen herausarbeitet. Die Mischung aus Reiseguide, Krimi und Geschichtsbuch mit kulinarischen Einschüben ist ungewöhnlich, aber gelungen. Vor allem Luxemburg und Frankreich Fans werden hier auf ihre Kosten kommen. Der Autor arbeitet mit viel Lokalkolorit, typischen Landesgerichten, Dialekt und Ortsbeschreibungen. Am Ende des Buches findet man dankenswerterweise ein Glossar über Küchenlatein, das besonders bei den ungewöhnlichen Gerichten hilfreich ist.

Zwei parallele Erzählstränge geben Einblick in das Geschehen. Die Kriegsjahre, in denen der Guide Gabin aus dem Jahr 1939 seine Schlüsselrolle erhält, werden durch die Erlebnisse eines geheim agierenden Amerikaners geschildert. Besonders die Franzosen und deren ungewohnte Mittel, dem Feind ein Schnäppchen zu schlagen, haben mir gefallen.

In der Gegenwart bereist Xavier Kieffer verschiedene Regionen, um das geheimnisvolle blaue Bauch wiederzubeschaffen. Statt einer Gourmetreise entwickelt sich seine Suche schnell zur Verfolgungsjagd, denn immer mehr dunkle Gestalten scheinen an dem Buch interessiert zu sein. Dabei gehen sie nicht gerade zimperlich vor und scheuen auch nicht vor Mord zurück. Obwohl Kieffer als Koch nun ganz und gar nicht in das Agentenmilieu passt, schlägt er sich tapfer und mit Raffinesse. Unterstützung erhält er von Pekka Vattanen, einem Freund und Stammkunden seines Restaurants in Luxemburg. Der trinkfeste finnische EU-Beamte trägt mit seinem lockeren Wortwitz sehr zum humorvollen Teil der Handlung bei.

Spannend steigert sich die Handlung zu einem lebensgefährlichen Plot mit überraschenden Elementen.

Obwohl nicht alle Szenen für mich schlüssig erklärbar sind, hat mich dieser Gourmetkrimi ungewöhnlich gut unterhalten und Lust auf einen Besuch in einem luxemburgischen Restaurant gemacht.

Freitag, 10. Februar 2017

Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod von Gerhard Jäger


https://www.randomhouse.de/Buch/Der-Schnee,-das-Feuer,-die-Schuld-und-der-Tod/Gerhard-Jaeger/Blessing/e502067.rhd#info
    Erscheinungsdatum: 26.09.2016    
    Verlag:
Karl Blessing Verlag
    ISBN: 9783896675712
    Flexibler Einband: 400 Seiten

    Leseprobe

    Meine Bewertung:
5 von 5 Punkten 
  Zum Schreiben hat sich der junge Historiker Max
  Schreiber 1950 in ein Tiroler Bergdorf zurückgezogen.
  Einsam ist es hier und die Dorfbewohner voller Misstrauen
  dem Fremden gegenüber, denn er rüttelt an alten
  Geheimnissen. Er fühlt sich hingezogen zu einer jungen
  Frau, doch da ist noch der Kühbauer, der schon lange um
  Maria wirbt. Jemand stirbt und ein Stall brennt, aber zur
  Klärung bleibt keine Zeit, denn die Lawinen bedrohen das
  Dorf und alle bangen um ihr Leben. Fast 60 Jahre später
  fliegt der achtzigjährige John Miller von Amerika nach
  Innsbruck, um Recherchen über einen Mörder, seinen
  Cousin, durchzuführen.


"Es gibt Momente, Orte, die dir Angst machen. Du weißt, dass da etwas ist, das auf dich wartet, gesichtslos, namenlos, jenseits aller Begriffe, jenseits aller Konturen, und doch, es ist da, du spürst es, und du weißt nur eines: Es ist nichts Gutes."
Der Schreibstil erinnert an ein Gemälde. Jeder Satz ein Pinselstrich, der emotionsgeladene Bilder entstehen lässt. Gerhard Jäger hat einen besonderen Sprachrhythmus, der fesselt und besondere Gefühle heraufbeschwört. Verschiedene Zeit- und Erzählebenen, lange verschachtelte Sätze, die sich erstaunlich gut lesen lassen und akzentuierte Wiederholungen einzelner Sequenzen, zeichnen den Stil aus.  
"...aus seinem Mund kommen Berge und Hügel, Gipfel und Grate, Wälder und Schluchten, Wege und Pfade, ein paar rot glühende Sonnenstrahlen wie Farbtupfer auf die Bergspitzen gesetzt, zimmern weitere Buchstaben die kleine Alm, die in einer Senke an einer steilen Bergflanke vor den wütenden Winden des Hochgebirges Schutz sucht und Schutz bietet, seit vielen, vielen Jahren, all den Hirten, die die Sommer hier verbringen, hier, bei den Kühen, die die Hänge und die wenigen Ebenen abweiden, ruhig und bedächtig, denn es ist ein friedliches Leben."
Es liegt von Anfang an eine spürbare Spannung in der Luft. Ein Fremder, der in die abgeschnittene harte Welt des kleinen Bergdorfes eindringt. Man sieht förmlich, wie Max Schreiber argwöhnisch beobachtet, jeder Schritt und jedes Wort kritisch bewertet wird. Sagen, Mythen und Aberglaube spielen hier eine große Rolle. Unbewusst schürt Max den Unwillen der Dörfler, als er sich für die stumme Marie interessiert. Sein anfänglich als Roman geplantes Buch wird immer mehr zu einem Tagebuch, dessen Form sich von der Ich-Erzählung zur Betrachtung wandelt und seine Unruhe, Verlorenheit und Ängste widerspiegelt.

Dann kommt der Winter, so kalt, brutal und unberechenbar, dass man beim Lesen eine Gänsehaut bekommt. Vom geschichtlichen Lawinenwinter 1951  hatte ich vorher noch nichts gelesen und wurde von der unfassbaren Wucht der Lawinen sprichwörtlich mitgerissen. Man kämpft gegen die Schneemassen, die die Häuser einstürzen lassen und am Ende nur noch ums nackte Überleben. Zusammengedrängt in der Kirche hört man das Donnern der ins Tal krachenden alles zermalmenden weißen Flut. Viele kommen darin um, werden vermisst, so auch Max Schreiber. Nur sein Manuskript taucht später wieder auf.

Hier setzt die Rahmenhandlung ein. Im Jahr 2006 fliegt der achtzigjährige Amerikaner John Miller nach Österreich, um am spürbaren Ende seines Lebens der Spur eines Mörders zu folgen. Im Innsbrucker Landesarchiv liest er das Manuskript von Max Schreiber, taucht in dessen Geschichte ein und lässt den Leser am Geschehen teilhaben. Eigene Erinnerungen führen ihn immer wieder fort in die Vergangenheit, wecken Gefühle und Sehnsüchte nach seiner verstorbenen Frau Rosalind:


"...Rosalind über eine Kiste mit Büchern gebeugt, Rosalind mit einem alten Schmöker am Fenster sitzend, Rosalind in einer angeregten Diskussion mit einem Kunden, Rosalind die mir mit einem triumphierenden Blick ein seltenes Exemplar reicht, Rosalind, Rosalind."
Das Lesen wühlt den alten Herren sichtlich auf und man bangt um dessen Gesundheit. Nach und nach wird ersichtlich, dass auch seine Lebensgeschichte ein Geheimnis birgt, welches bis zum Schluss verborgen bleibt.

Mich hat dieser Roman mit seiner poetisch eindringlichen Art schlicht und einfach begeistert. Ein absolut empfehlenswertes Lesehighlight.





 

Montag, 6. Februar 2017

Die Mississippi-Bande von Davide Morosinotto

http://www.thienemann-esslinger.de/thienemann/buecher/buchdetailseite/die-mississippi-bande-isbn-978-3-522-18455-7/
    Erscheinungsdatum: 17.01.2017    
    Verlag:
Thienemann Verlag    
    ISBN:
9783522184557    
    Fester Einband:
368 Seiten    

    Leseprobe


    Meine Bewertung:
4 von 5 Punkten 
  Mitten in den Südstaaten-Sümpfen zwischen Schlangen
  und Treibsand finden Kinder beim Angeln eine Blechdose
  gefüllt mit drei Dollar. 1904 fast schon ein kleiner Schatz,
  den die Kinder für eine Bestellung im Versandhaus
  nutzen. Lange müssen sie auf ihr Paket warten und die
  Überraschung ist groß, denn etwas ganz anderes wurde
  geliefert. Gemeinsam unternehmen sie eine lange und
  gefährliche Reise auf dem Mississippi und der Eisenbahn
  bis nach Chicago, um das Geheimnis der Falschlieferung
  zu lüften.

Davide Morosinotto hat eine gelungene Abenteuergeschichte mit viel Südstaaten-Flair geschrieben. Das empfohlene Lesealter ab 10 Jahren empfinde ich aber zu niedrig gegriffen, denn einige Passagen sind durchaus klärungsbedürftig. Die Mississippi-Bande ist bunt zusammengewürfelt und besteht aus Arztsohn Eddie, Farmer Tre Trois, Julie und ihrem farbigen Halbbruder Tit. Schon die ungewöhnlichen Namen zeigen, dass in dieser Region französisch oder Cajun gesprochen wird.

Unterteilt in vier Abschnitte berichtet jeweils ein Kind aus der Ich-Perspektive über die Erlebnisse und wechselt damit auch die Sichtweise. Für Tre Trois ist alles ein großes Abenteuer und es kann ihm nicht aufregend genug sein. Eddie ist dagegen eher vorsichtig und behutsam, kennt sich aber hervorragend in den Sümpfen und mit Geografie aus. Julie hat ein Gespür für Menschen, weil sie durch ihre Armut schon viel Leid erfahren hat. Tit schweigt und lässt niemanden an sich heran, nur Zahlen können ihn begeistern. Ihre besonderen Stärken und die Verbundenheit der Freunde sind ein wichtiger Bestandteil der Handlung. Es gibt bedrückende und gefährliche Momente, die sich mit humorvollen Szenen abwechseln. Die lustige Erfindung des Hotdogs hat meinen Kindern gut gefallen.

Besonders gelungen ist die Einleitung jedes Kapitels durch wunderschöne schwarz-weiß Illustrationen und Fotos, die die Handlung unterstreichen und ein Gefühl für die vergangene Zeit vermitteln. Dazu tragen auch die Reise mit dem Raddampfer auf dem Mississippi und eine abenteuerliche Zugfahrt bei. Es macht Spaß in die Vergangenheit einzutauchen und eine völlig andere Welt zu erleben.

Für ein Kinderbuch eher ungewöhnlich ist dann im letzten Kapitel ein großer Zeitsprung, der Tit als alten Mann und Erzähler zeigt. Für meine Kinder war dieser plötzliche Schnitt in der Handlung eher uninteressant. Sie hätten gern mehr über das weitere Leben der Kinder erfahren.

Eine historische Abenteuergeschichte, die Spaß macht, die Südstaaten kennenzulernen und auf Ermittlungssuche zu gehen.

Donnerstag, 2. Februar 2017

Silber - Das erste Buch der Träume von Kerstin Gier


http://www.argon-verlag.de/2013/06/gier-silber-das-erste-buch-der-traeume/
    Erscheinungsdatum: 20.06.2013
    Verlag: argon Hörbuch
    ISBN: 978-3839840504
    Hörbuch: 8 CDs im Digifile

    Hörprobe
    Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
  Nach vielen Umzügen scheint Liv Silbers in London endlich
  ein dauerhaftes Zuhause gefunden zu haben, denn ihre
  Mutter hat einen neuen Lebenspartner gefunden. Ruhiger
  geht es in Livs Leben dennoch nicht zu, denn eine
  Patchworkfamilie bringt auch so ihre Probleme mit sich. Ihre
  Träume wirken immer lebendiger und bedrohlicher.
  Ausgerechnet ein düsterer Friedhof, auf dem ein
  geheimnisvolles Ritual stattgefunden hat, gibt ihr Rätsel auf.
  Vier Schüler ihrer neuen Schule haben darin eine Rolle
  gespielt und auf gruselige Weise scheinen die Jungs auch 

  im wahren Leben etwas über Livs Traum zu wissen.

Kerstin Gier ist ein unterhaltsamer, schwungvoller und humorvoller Auftakt zu einer neuen Romanserie für die Altersgruppe ab 14 Jahren gelungen. Durch die frische Hörbuchstimme von Simona Pahl wird die Figur der Liv Silber, die ihre Erlebnisse in der Ich-Form schildert, sehr glaubwürdig transportiert. 


Der Einstieg vermittelt einen Eindruck in das teilweise chaotische Leben der 16-jährigen Liv. Ihre Mutter scheint ständig abwesend und nur mit ihrer Arbeit beschäftigt zu sein. Gut, dass Liv und ihrer kleinen Schwester ein resolutes bayerisches Au-pair-Mädchen mit Rat und Tat zur Seite steht. Lotti muss man einfach sofort ins Herz schließen. Es macht Spaß die quirlige Liv zu begleiten, die sich ständig Gedanken über alles und jeden zu machen scheint. So lernt man schnell die nervigsten Schüler, die begehrtesten Jungen und den daraus resultierenden Schullalltag kennen. Eine Person an der Schule scheint aber immer einen Schritt voraus zu sein: die Herausgeberin des Schulblogs. Niemand kennt ihre Identität und sie schreibt über Dinge, die eigentlich niemand wissen kann.

Geheimnisvoll wird es, wenn Liv anfängt zu träumen. Denn sie kann ihre Träume steuern, sich in ihnen bewegen, wie in einer Parallelwelt. Türen, die die Träume anderer bewachen, machen Liv neugierig und ziehen sie magisch an. Die beliebtesten Jungs der Schule werden plötzlich auf sie aufmerksam und scheinen auch etwas mit den Träumen zu tun zu haben. Und auch wenn Liv sich eigentlich nichts aus Jungs macht, beginnen doch Schmetterlinge in ihrem Bauch zu tanzen.

Trotz einiger Längen und wiederholender Traumpassagen kann dieses Hörbuch durch die sympathische Sprecherstimme überzeugen. Das
spannungsgeladene Ende macht gekonnt neugierig auf die Fortsetzung, die auf mehr Magie und Mystik hoffen lässt.

Montag, 30. Januar 2017

Leben ist keine Art, mit einem Tier umzugehen von Emma Braslavsky


http://www.suhrkamp.de/emma_braslavsky_leben_ist_keine_art_mit_einem_tier_umzugehen_1384.html
    Erscheinungsdatum: 12.09.2016
    Verlag: Suhrkamp
    ISBN: 978-3-518-42544-2
    Fester Einband: 462 Seiten

    Leseprobe

    Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
   Ein Konglomerat unterschiedlichster Gruppierungen ist auf
   dem Weg die Welt zu verbessern. Doch wer an
   Menschlichkeit, Nachhaltigkeit und Wohlergehen denkt,
   liegt hier falsch. Macht, Geld und Prestige geben die
   Spielregeln vor, die den Besiedlungskampf um eine neu
   entdeckte staatenlose Insel einläuten. Es geht um
   Einzelschicksale, inneren und auslebenden Aussteigern.

Verschiedene Handlungsstränge, die willkürlich aufeinander folgen machen den Einstieg nicht leicht. Erst langsam erkennt man Zusammenhänge, taucht dann aber sogartig in das Geschehen ein. Emma Braslavsky setzt unterschiedliche Stilmittel ein, um die Handlungsstränge miteinander zu verbinden. Mal taucht ein Newsblog auf, dann wieder Dialoge eines Aussteigerpärchens im vermeintlichen Paradies. Unterschwellige Spitzen der Autorin greifen Wohlstandprobleme auf, nehmen Politik und Wissenschaft unter die Lupe und halten einem jeden den Spiegel vor. Kuriose und durchdachte Ideen wie ein vom Wind verwehtes Haar oder ein personalisierter Sturm würzen den gelungenen Schreibstil.

Eine Vielzahl von unterschiedlichsten Charakteren, die lebendig, skurril und dennoch glaubwürdig beschrieben werden, zeichnen den Roman aus. Ob Berliner Youngster, argentinisches Familienoberhaupt, Kaballah-Teilnehmerin oder Paradiesbewohner man folgt ihnen gern bei der Suche nach ihrer Lebenserfüllung.

Der argentinische Architekt Jivan und die karriereorientierte Umweltaktivistin Jo scheinen das perfekte Paar zu sein. Hinter ihrer glänzenden Fassade zeigen sich aber erste Risse, die dramatische Folgen nach sich ziehen werden. Durch den Erzähler taucht man immer tiefer in die verworrenen Ziele verschiedener Organisationen ein. Das vermeintliche Wohl der Menschheit gerät mehr und mehr in den Hintergrund. Ein Thema, das gerade wieder an Aktualität gewonnen hat.



"Wie merkwürdig sich der Fahrtwind ihnen in dieser Windstille entgegenstemmt, ihre Haare erfasst, kein Wind eigentlich, sondern die Zeit selbst, die nur als Wind spürbar wird, wenn man durch den Raum jagt und ihren Strom überholen will, wenn man schneller sein will, als sie fließen kann."


Die 19 Jahre alte Roana verbringt einen durch ihren Vater verordneten Zwangsaufenthalt in Argentinien. Der Familientradition folgend soll sie am Fuß eines Vulkans zu sich selbst finden. Am Ende führt ihr Weg nach Buenos Aires, den sie rückblickend aus der Gegenwart heraus erzählt. Jugendlich und unvoreingenommen schildert sie ihre Gedanken und Gefühle. Ihr ist man besonders verbunden, weil Roanas Zerrissenheit spürbar vermittelt wird.

Anfänglich völlig voneinander losgelöste Handlungen führen zu einem fulminanten abstrusen Finale.

Obwohl sich bei mir der Lesegenuss nicht sofort einstellen wollte, hat mir der kreative Stil, die enthaltene Botschaft und deren humorvolle Umsetzung sehr gefallen. 




 



 

Sonntag, 29. Januar 2017

Herr S. bekommt Besuch von Patrick Hinz


http://www.dotbooks.de/e-book/343940/herr-s-bekommt-besuch
    Erscheinungsdatum: Dezember 2016
    Verlag: dotbooks
    ISBN: 9783958247987
    ebook: 225 Seiten

    Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
   Gefühle sind etwas für Anfänger, meint jedenfalls Herr S., der
   das Weite sucht, wenn Menschen ihm zu Nahe kommen.
   Seine Verwandtschaft kennt er nur aus alten Erinnerungen
   und ist völlig überrumpelt, als sein Cousin mit seinem
   Hare-Krishna-Lächeln vor der Haustür steht und eine Bleibe
   sucht. Mit ihm kann er sich noch irgendwie arrangieren, aber
   dann klingelt es wieder und diesmal ist es seine Mutter 

   Marie, die sterbenskrank den Kontakt zu ihrem Sohn sucht.
   Lange unterdrückte Gefühle stürzen über Herrn S. herein
   und sein Schutzpanzer bekommt immer mehr Risse.

Das humorvolle Cover scheint eine leicht lockere Komödie zu versprechen, aber weit gefehlt. Patrick Hinz enthüllt sehr einfühlsam ein Kaleidoskop voller Gefühle. Man ist gefangen von der ungewöhnlichen Mischung aus Komik und Tragik. Hauptprotagonist und Ich-Erzähler Herr S. ist ein Ekel, der sich gleich zu Beginn von seiner liebenswertesten Seite zeigt. Obwohl er seine Freundin schätzt und gern mit ihr zusammen ist, trennt er sich ohne zu zögern, als diese ihm drei Worte zuflüstert. Sich selbst bezeichnet er als "Schubladiseur", der Menschen in Kategorien einteilt. Er beobachtet, zieht Schlüsse und vorverurteilt, wo er geht und steht.

Sein selbst gewählter Name "Herr S." kommt nicht von ungefähr:

"Herr S. gab mir die Distanz, die ich gegenüber anderen brauchte, innerhalb der ich klammheimlich auf Tauchstation gehen konnte, nur um aus einem toten Winkel heraus Menschen zu erforschen. Herr S. gab mir die Freiheit, Dinge zu tun, die mein altes Ich aus purem Anstand heraus nie getan hätte."


Als seine längst vergessene Mutter plötzlich in sein Leben tritt, kann er sich nicht mehr verstellen und muss sich der Vergangenheit stellen. Erinnerungen und Gedanken von Herrn S. helfen die Kluft zwischen Mutter und Sohn zu verstehen. Der als Eso-Fuzzi betitelte Cousin Pascal hilft bei der Betreuung der schwer kranken Marie und ist der ausgleichende Pol in der Handlung. Sein ungewöhnliches Auftreten sorgt für einige Schmunzelmomente.

Mehr und mehr wandelt sich der egoistische Einzelkämpfer Herr S. zum verletzten und einsamen Menschen, der er eigentlich schon immer war. Gebannt verfolgt man die Wandlung und ist bestürzt über das Schicksal, das beide verbindet. Dabei geht es ganz und gar nicht rührselig, sondern eher heftig zu. Schimpftiraden und Beleidigungen austeilend nähern sie sich nur langsam, denn jahrzehntelanges Schweigen lässt sich nicht einfach überwinden.

"Familie sind Menschen, die mich begleiten und die ich begleiten darf. Die mich bereichern und deren Leben zu bereichern ich das Privileg habe."


Die Natürlichkeit und Verletzlichkeit der Protagonisten in dieser Tragikomödie hat mir besonders gefallen. Familie ist alles andere als einfach und jeder trägt seinen Teil am Gelingen bei.

Freitag, 27. Januar 2017

Der Zug der Waisen von Christina Baker Kline


https://www.randomhouse.de/Buch/Der-Zug-der-Waisen/Christina-Baker-Kline/Goldmann/e467453.rhd

    Erscheinungsdatum: 12.12.2016
    Verlag: Goldmann
    ISBN: 9783442481613
    Flexibler Einband: 352 Seiten

    Leseprobe

    Meine Bewertung: 5 von 5 Punkten 
   Ein Zug voller Waisenkinder rollt im Jahr 1929 von New
   York Richtung Mittlerer Westen. Auch die neunjährige
   irische Immigrantin Vivian hofft darauf, ein neues Zuhause
   zu finden. Bis es so weit ist, muss sie einen schweren Weg
   gehen. Erst mit 91 Jahren vertraut sie sich der jungen
   Halbwaisen Molly an, mit der sie sich verbunden fühlt.
Christina Baker Kline hat ein trauriges und vergessenes Kapitel amerikanischer Geschichte zum Leben erweckt. Im Nachwort findet man von der Autorin zusammengestellte geschichtliche Details. Die Orphan Trains fuhren zwischen 1854 und 1929 in den Mittleren Westen, um unglaubliche 200.000 Kinder adoptionswilligen Paaren zuzuführen. Die von der „Children’s Aid Society“ vermittelten Kinder wurden allerdings häufig als billige Arbeitskräfte wie Sklaven gehalten. Hauptprotagonistin Vivian Daly ist eines dieser Kinder und steht für eine Generation ohne Liebe und Geborgenheit. Der zweite Handlungsstrang führt in die Gegenwart zu Molly, einer aufmüpfigen 17-jährigen Halbwaisen, die von Pflegefamilie zu Pflegefamilie gereicht wird. Sie steht kurz davor, wieder aus einer Familie zu fliegen. Ihre letzte Chance sind Sozialstunden, die sie bei Vivian auf dem Dachboden mit Entrümpelungsarbeiten ableisten soll.

Das Schicksal einer alten Dame und die Selbstfindung eines Teenagers werden von der Autorin gekonnt miteinander verwoben. Einfühlsam, leise und gefühlvoll entwickelt sich eine Freundschaft, mit der niemand gerechnet hat. Eigentlich soll Molly nur den Dachboden für Vivian entrümpeln. Doch je länger die beiden Frauen die alten Dinge betrachten, desto näher kommen sie sich. Mit jedem Fundstück kehren mehr Erinnerungen zurück und Vivian beginnt, Molly von ihrem Leben zu erzählen. Die Handlungsstränge werden durch Kapitel und Jahreszahlen getrennt erzählt, sodass man der Geschichte gut folgen kann.

Besonders Vivian wirkt sehr authentisch und lebendig. Zusammen mit ihr durchlebt man all die schrecklichen Dinge, die ihr widerfahren sind.



"Keine Erwartungen zu haben macht das Ganze leichter zu ertragen. Ich bin überzeugt, dass ich am Ende wieder im Zug landen werde, um an der nächsten Station wieder ausgeladen, mit den anderen verbleibenden Kindern vorgeführt und dann wieder zurück in den Zug verfrachtet zu werden."
Tief getroffen hat mich, wie dieses kleine Mädchen sich selbst eine Gefühllosigkeit auferlegt, um überleben zu können. Als erwachsene Frau trifft sie ein weiterer Schicksalsschlag, von dem sie sich nie ganz erholen wird und ihre Gefühle endgültig für sich behält.

Mich hat dieser Roman sehr berührt. Im Anschluss habe ich noch viel über die Orphan Trains gelesen und bin froh, durch diese Geschichte mehr darüber erfahren zu haben. 


Website der Autorin: http://christinabakerkline.com/


 
 

Freitag, 20. Januar 2017

Martin Luther von Maja Nielsen


https://www.gerstenberg-verlag.de/index.php?id=detailansicht&url_ISBN=9783836948876
    Erscheinungsdatum: 27.06.2016
    Verlag: Gerstenberg Verlag
    ISBN: 9783836948876
    Fester Einband: 64 Seiten

 
    Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
  Passend zum Reformationsjubiläum vermittelt das reich
  bebilderte Sachbuch einen Einblick in das Leben und Wirken
  Martin Luthers. Maja Nielsen schildert in verständlichen
  Worten, wie Martin Luther seinen vom Vater vorbestimmten
  Lebensweg für die Kirche verließ und zum Reformator wurde.
  Dank der gelungenen Illustrationen von Anne Bernhardi
 
kann man sich sehr gut vorstellen, wie Luther lebte. 

  Empfohlen ist das Buch für Leser von 12 bis 15 Jahren.

Durch viele Infoboxen, die den Sachtext begleiten, werden auch schwierige Sachverhalte gut verstanden. Für meine Kinder war es interessant zu erfahren, dass durch die Bibelübersetzung und seine zahlreichen Schriften Luther unsere heutige Sprache prägte und bis dahin unbekannte Wörter wie Lästermaul, Machtwort, friedfertig oder Lückenbüßer schuf. Vergessen wird aber auch nicht darauf hinzuweisen, dass Luther nicht nur positiv in der damaligen Zeit aufgefallen ist und heute auch kritisch gesehen wird. Hilfreich sind hier die zahlreichen und durchaus kritischen Kommentare von Margot Käßmann, die auch als Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Reformationsjubiläum 2017 tätig ist.

Am Ende des Buches findet sich eine Chronik zu Luthers Leben in Kurzform, um sich noch einmal einen Gesamtüberblick verschaffen zu können. Viele Tipps wie Museums- und Webadressen oder Film- und Buchhinweise machen neugierig, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen.

Zum Einstieg in das Thema Reformation ist das Buch sehr gut geeignet.



Sonntag, 15. Januar 2017

Taste of Love - Geheimzutat Liebe von Poppy J. Anderson


https://www.luebbe.de/bastei-luebbe/buecher/liebesromane/taste-of-love-geheimzutat-liebe/id_5720628
    Erscheinungsdatum: 13.01.2017
    Verlag: Bastei Lübbe
    ISBN: 9783404174683
    Flexibler Einband: 384 Seiten

    Leseprobe

    Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
  Mit seinem Bostoner Restaurant hat der smarte Koch Andrew
  Knight großen Erfolg, doch daran erfreuen kann er sich nicht.
  Er fühlt sich leer und ohne Elan. Ungeplant nimmt er sich vom
  Alltag frei und landet nach einem Autoschaden an seinem
  SUV in einem kleinen Küstenort in Maine. Brooke Day
  vermittelt ihm ein Gästezimmer über ihrem Restaurant, obwohl
  sie den angeberischen Städter eigentlich nicht leiden kann.
  Nicht nur die Kochkünste von Brooke können Andrew
  begeistern. Nur leider macht es ihm diese schlagfertige Frau
  nicht leicht.


Der Auftakt der kulinarischen Liebesroman-Serie "Taste of Love" beginnt frisch und unterhaltsam. Poppy J. Anderson bleibt ihrem schwungvollen Schreibstil treu, sodass man mit dem Lesen nicht mehr aufhören mag. Ein Rahmen aus Neuenglands kulinarischen Köstlichkeiten, die die beiden Hauptprotagonisten kochen, umfasst die Handlung und lässt einem das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Die Autorin hat folgendes Rezept verwendet: 

Man nehme
• Zwei Herzen voller Liebe
• Ein Berg voller Missverständnisse
• Buchseiten voller Charme und Elan
• Eine Prise Mitgefühl
• Jede Menge kulinarischer Köstlichkeiten

vermischt mit zwei wunderbar unterhaltsamen Charakteren ♂+♀, die frech und charmant miteinander verrührt werden.
Der "Kampf" zwischen Andrew und Brooke ist einfach erfrischend und temporeich geschrieben. Man sieht förmlich die Funken sprühen. Zwar ist es nicht überraschend, dass die beiden sich finden werden, aber der Weg dorthin macht Spaß.

Am Ende hätte ich gern etwas mehr Zeit zum Eintauchen in die Handlung erhalten, die Szenen überholen sich fast, bis es zum gelungenen Finale kommt.

Andrew und Brooke muss man einfach mögen. Ein toller Gute-Laune-Liebes-Roman, der Lust auf mehr Lesestoff und neugierig auf weitere Kochrezepte macht.




Die Rezepte aus dem Buch sind hier zu finden.

Hinweis: am 16.02.2017 geht es weiter mit "Taste of Love - Zart verführt"