Samstag, 28. Oktober 2023

Gewässer im Ziplock von Dana Vowinckel



Für eine 15-Jährige sind Ferien bei den Großeltern nicht besonders unterhaltsam, auch wenn sie in Chicago verbracht werden. Margarita möchte zurück nach Berlin zu ihren Freunden und ihrem Vater. Stattdessen schicken die Großeltern sie nach Israel, um ihre Mutter zu treffen, die sie vor Jahren verlassen hat. Gut gemeint, doch das Wiedersehen reißt alte Wunden auf und wirft Fragen auf, die nie gestellt wurden. Am Ende des Sommers muss die Teenagerin eine schwere Entscheidung treffen.


Dana Vowinckel beschäftigt sich in ihrem ersten Roman mit einem anspruchsvollen und wichtigen Thema. Sie betrachtet das moderne jüdische Leben aus verschiedenen emotionalen und stillen Perspektiven an verschiedenen Handlungsorten und durch unterschiedliche Charaktere. Herkunft und Heimat spielen eine entscheidende Rolle. 

Vater Avi und Tochter Margarita erzählen ihre Geschichte jeweils aus ihrer eigenen Perspektive. Trotz der ruhigen Atmosphäre spürt man eine unterschwellige Spannung, die nach und nach immer mehr an die Oberfläche gelangt. Besonders Margarita ist ein sehr aufmerksamer, sensibler und reizbarer Charakter. In Berlin wächst Margarita behütet bei ihrem Vater auf, der in seinem Beruf als jüdischer Chasan völlig aufgeht. Die Sommerferien verbringt das Mädchen jedes Jahr bei den Großeltern mütterlicherseits in Chicago. Nur diesmal soll sie ihre Mutter in Jerusalem besuchen, bevor es zurück nach Berlin geht. 

Das Wiedersehen steht unter keinem guten Stern, denn die Mutter verpasst Margarita am Flughafen. Obwohl sie die Sprache beherrscht, befindet sie sich doch in einem fremden Land. Der Schmerz erneut von der Mutter im Stich gelassen worden zu sein, brandet wieder auf und Margarita unternimmt eigene, gewagte Schritte, von denen sie selbst ihren Vater nicht in Kenntnis setzt. Obwohl die Mutter sich bemüht, Margarita durch eine Reise das Land des Vaters näher zu bringen, bleiben sich Mutter und Tochter fremd. Sie haben noch keine Gelegenheit gehabt, ihre Rollen als Mutter und Tochter auszufüllen. Die Distanz und Kühle ist deutlich spürbar, zumal Marsha erst durch Margaritas Erzählungen zur Protagonistin wird.

Als Margaritas Großmutter in Chicago erkrankt, treffen sich nach über 10 Jahren alle Familienmitglieder wieder. Eine Eskalation von Gefühlen, Verletzungen und Hilflosigkeit aller Beteiligten ist absehbar und doch unerwartet umgesetzt. Margaritas innerer Zwiespalt und ihr Wunsch nach Zugehörigkeit zeigen sich in jedem Satz. Sie fühlt sich wurzellos und sogar ihr Vater Avi wirkt in Amerika fremd und fehl am Platz.

Mir wurde bewusst, wie fremd mir das Judentum immer noch ist, besonders bei den Schilderungen von Avi in Berlin. Seine Kantorentätigkeit wurde sehr einfühlsam vermittelt.  

"Der Gesang verpflichtete ihn, zu glauben. Denn die Worte, die er singen durfte, die sein Beruf waren, es waren Worte, die ihm den Sinn der Welt aufschlossen und manchmal sogar den Unsinn, das Glück und den Schmerz."

Nachdem ich Nachamas' Gesänge zu Jom Kippur gehört habe, konnte ich mir einen ungefähren Eindruck von seiner Stimme machen.  

Die Charaktere vermitteln unterschiedliche Perspektiven auf jüdisches Leben in Deutschland, Israel und den USA. Der Nahostkonflikt wird spürbarer, auch wenn durch die Komplexität des Themas an der Oberfläche geblieben wird.

Meine Erwartungshaltung war etwas zu hoch, weil ich außer der Romanhandlung mehr Informationen über den mir fremden Glauben erhofft habe. 


Von mir gibt es 3,8 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen:  20.08.2023
Verlag:  Suhrkamp
ISBN: 9783518473603
Fester Umschlag
Seiten: 362





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