Dienstag, 9. November 2021

Die Telefonzelle am Ende der Welt von Laura Imai Messina



Sich von geliebten Menschen vor dem Tod verabschieden zu können, ist den Hinterbliebenen der Tsunami-Katastrophe 2011 in Japan nicht vergönnt gewesen. Viele wurden förmlich aus dem Leben gerissen und hinterlassen eine ungeheuer große und schmerzliche Lücke. Eine Telefonzelle in einem Garten am Meer scheint der Ausweg für viele Trauernde zu sein. Hier an diesem besonderen Ort trägt der Wind ihre Gedanken und Worte zu den Verstorbenen. Auch der Arzt Takeshi Fujita und die Radiomoderation Yui Hasegawa suchen Trost in Bell Gardia. Gemeinsam kehren sie immer wieder in den Garten zurück und nähern sich langsam und voller Ängste einander an.   


Laura Imai Messina Laura Imai Messina hat einen sehr bewegenden Roman geschrieben, der die Themen Verlust, Trauerbewältigung, Hoffnung und Liebe in feiner, leiser und schmerzvoll stiller Art umsetzt. Ein Ort, den es in Japan tatsächlich gibt, dient als Rahmenhandlung. Die Telefonzelle des Windes (https://bell-gardia.jp/the-phone-of-the-wind/) wird von tausenden Menschen aufgesucht, um unausgesprochene Worte mit geliebten Menschen auszutauschen. Am Ende findet sich ein ausführliches Glossar der japanischen Begriffe und Schriftzeichen, die es uns westlich orientierten LeserInnen vereinfacht, den Inhalt besser zu verstehen. 

Die Begegnung zwischen Yui und Takeshi wird sehr leise erzählt. Zwei Trauernde, die sich kennen und schätzen lernen und die gemeinsam regelmäßig die lange Fahrt von Tokio zum Garten der Telefonzelle auf sich nehmen. Ihre Geschichte wird in kleinen Abschnitten erzählt, die erst am Ende ein Gesamtbild zulassen. Besonders Yuis Trauer um ihre verstorbene Mutter und ihre kleine Tochter geht an Herz. Zu erfahren, dass die vermeintlich in Sicherheit befindenden geliebten Menschen ums Leben gekommen sind, muss einem schier den Verstand rauben. Yui muss bei jeder Fahrt mit Übelkeit kämpfen, wenn sie das grausame Meer sieht. 

Nach und nach kommen immer mehr Figuren zur Telefonzelle und werden ein Teil von Yuis und Takeshis Leben. Jeder hat seine eigene schreckliche Geschichte, die er zu verarbeiten sucht. Ein Vater, der nicht begreifen kann, warum sein Sohn während des Tsunamis so leichtfertig handeln konnte. Ein Sohn, der seinen Vater lieber tod als tieftraurig schweigend sieht und Takeshis Tochter Hana, die seid dem Tod ihrer Mutter nicht mehr spricht. 

Trotz all der Trauer erleben Takeshi und Yui Alltägliches. Diese kurzen Abschnitte erlauben es auch den LeserInnen Abstand von den traurigen Dingen zu nehmen, die einen beschäftigen. Kleine Details wie die Auflistung einer Bento-Box oder die Zusammenfassung einer Radiomoderation Yuis rücken den Focus zurück auf das Leben.
 "Wir müssen selbst Freude im Überfluss besitzen, um sie anderen schenken zu können."

Mir hat besonders das feinfühlige Herantasten an einen neuen Lebensabschnitt der beiden Protagonisten gefallen. Das Verständnis um die Trauer des anderen und dennoch die warme Zuneigung, die wie eine kleine Pflanze langsam Blüten entfaltet. Den Gedanken, über eine dem Wind überlassene Unterhaltung Verbindung zu Verstorbenen aufzunehmen, nehme ich mit und hoffe, so schnell keine Verwendung dafür zu finden. 

Von mir gibt es 4 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 15.03.2021
Verlag:  btb
ISBN: 978-3-442-75896-8
Fester Umschlag
Seiten: 352



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen