Sonntag, 29. Januar 2017

Herr S. bekommt Besuch von Patrick Hinz


http://www.dotbooks.de/e-book/343940/herr-s-bekommt-besuch
    Erscheinungsdatum: Dezember 2016
    Verlag: dotbooks
    ISBN: 9783958247987
    ebook: 225 Seiten

    Meine Bewertung: 4 von 5 Punkten 
   Gefühle sind etwas für Anfänger, meint jedenfalls Herr S., der
   das Weite sucht, wenn Menschen ihm zu Nahe kommen.
   Seine Verwandtschaft kennt er nur aus alten Erinnerungen
   und ist völlig überrumpelt, als sein Cousin mit seinem
   Hare-Krishna-Lächeln vor der Haustür steht und eine Bleibe
   sucht. Mit ihm kann er sich noch irgendwie arrangieren, aber
   dann klingelt es wieder und diesmal ist es seine Mutter 

   Marie, die sterbenskrank den Kontakt zu ihrem Sohn sucht.
   Lange unterdrückte Gefühle stürzen über Herrn S. herein
   und sein Schutzpanzer bekommt immer mehr Risse.

Das humorvolle Cover scheint eine leicht lockere Komödie zu versprechen, aber weit gefehlt. Patrick Hinz enthüllt sehr einfühlsam ein Kaleidoskop voller Gefühle. Man ist gefangen von der ungewöhnlichen Mischung aus Komik und Tragik. Hauptprotagonist und Ich-Erzähler Herr S. ist ein Ekel, der sich gleich zu Beginn von seiner liebenswertesten Seite zeigt. Obwohl er seine Freundin schätzt und gern mit ihr zusammen ist, trennt er sich ohne zu zögern, als diese ihm drei Worte zuflüstert. Sich selbst bezeichnet er als "Schubladiseur", der Menschen in Kategorien einteilt. Er beobachtet, zieht Schlüsse und vorverurteilt, wo er geht und steht.

Sein selbst gewählter Name "Herr S." kommt nicht von ungefähr:

"Herr S. gab mir die Distanz, die ich gegenüber anderen brauchte, innerhalb der ich klammheimlich auf Tauchstation gehen konnte, nur um aus einem toten Winkel heraus Menschen zu erforschen. Herr S. gab mir die Freiheit, Dinge zu tun, die mein altes Ich aus purem Anstand heraus nie getan hätte."


Als seine längst vergessene Mutter plötzlich in sein Leben tritt, kann er sich nicht mehr verstellen und muss sich der Vergangenheit stellen. Erinnerungen und Gedanken von Herrn S. helfen die Kluft zwischen Mutter und Sohn zu verstehen. Der als Eso-Fuzzi betitelte Cousin Pascal hilft bei der Betreuung der schwer kranken Marie und ist der ausgleichende Pol in der Handlung. Sein ungewöhnliches Auftreten sorgt für einige Schmunzelmomente.

Mehr und mehr wandelt sich der egoistische Einzelkämpfer Herr S. zum verletzten und einsamen Menschen, der er eigentlich schon immer war. Gebannt verfolgt man die Wandlung und ist bestürzt über das Schicksal, das beide verbindet. Dabei geht es ganz und gar nicht rührselig, sondern eher heftig zu. Schimpftiraden und Beleidigungen austeilend nähern sie sich nur langsam, denn jahrzehntelanges Schweigen lässt sich nicht einfach überwinden.

"Familie sind Menschen, die mich begleiten und die ich begleiten darf. Die mich bereichern und deren Leben zu bereichern ich das Privileg habe."


Die Natürlichkeit und Verletzlichkeit der Protagonisten in dieser Tragikomödie hat mir besonders gefallen. Familie ist alles andere als einfach und jeder trägt seinen Teil am Gelingen bei.

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